Tom Drieseberg, einst Marketingchef bei AEG, heiratete ins Weingut Wegeler im Rheingau
Tom Drieseberg öffnet eine Flasche 1959er Oestricher Lenchen“. Ein besonderer Tropfen, nur ein Jahr jünger als der, der die Flasche entkorkt hat. Ins Glas fließt ein Wein, bernsteinfarben wie flüssiges Harz. Es lasse sich alles duplizieren, „doch sowas kann keiner doppeln“, schwärmt er. Die Aromen von Dörrobst steigen in die Nase, wenig petrolige Firne, sondern makellose Frische. „Wir werden nie alt genug werden, um zu wissen, was Wein ist“, philosophiert Drieseberg. Oder: „Wer alten Wein getrunken hat, mag keinen jungen mehr.“ Dabei, weiß er, sei alt out und reif nicht hip. Sechzigjährige und ältere wüssten alte Jahrgänge zu schätzen. Die jüngeren Menschen „tun sich sehr schwer“. Er selbst nennt sich einen „alten Sammler und Jäger“. Das hat ihn zum Besitzer eines reichen Fundus an Tropfen gemacht, für die er das englische Wort „vintage“ benutzt. Vintage steht in der Mode für klassisch, hervorragend, erlesen, bei Ports, Sherrys und Whiskys für einen ausgezeichneten Jahrgang.
Nicht alles wird durch lange Lagerung in Flaschen kostbarer. Aber Rieslinge mit Alterungspotenzial gewinnen mit jedem Jahr an Wert. Drieseberg nennt den Riesling den „haltbarsten Wein der Welt“. Er lege zwei bis drei Prozent eines Jahrgangs weg. Für später. Die meisten seines Kollegen legten nichts oder kaum etwas zurück – „oder sie rücken nichts raus“. Er wohl, erklärt uns Drieseberg, als wir seine gut bestückte Schatzkammer besuchen.
In der Schatzkammer greift Tom Drieseberg in eines der Betonfächer nach einem 54 Jahre alten „Oestricher Lenchen“. Die kleine Spätlese habe damals gerade mal 3.40 Mark gekostet und sei selbst nach hundert Jahren noch ein Genuss. Der Kork muss dafür freilich immer wieder erneuert werden. Vom 59er Jahrgang gibt es nur noch wenige Flaschen. Es sei auch nicht alles verfügbar, weil nicht alle Jahrgänge für die lange Lagerung geeignet seien, sagt Drieseberg, verweist aber auf rund hundert Positionen auf seiner Vintage-Liste.
Tom Drieseberg ist Weinkenner. Aber kein Winzer. Das ist er auch erst geworden, als er den Wein 1995 heiratete. Anja Wegeler ist die Tochter von Rolf Wegeler, Inhaber eines der großen Weingüter im Rheingau. So kam er in das Haus, in dem wir jetzt in einer alten Kelterstube sitzen, die voller Geschichte und Geschichten ist.