26. April 2020

 

Hinterm Mond

Seit Jahren wird darüber gesprochen, dass Schüler möglichst früh mit Elektronik ausgestattet werden. Denn auch ohne Corona ist doch längst klar, dass die nachwachsende Generation mit der digitalen Technik früh und vernünftig umgehen lernen muss. Ein Lehrauftrag! Ebenso deutlich aber ist, dass die Jugend ihren Lehrern in der Sache schon weit voraus ist, Computer, Tablets oder Smartphones aber als Lehrmittel von den Eltern angeschafft werden müssen. Jetzt kommt „Homeschooling“ mit der Seuche über uns, und wir sehen, dass weder die Schule noch die Schüler darauf vorbereitet sind. Dabei sollte sich mit dem im vergangenen Jahr beschlossenen Digitalpakt (immerhin sechs Milliarden Euro vom Bund) doch in der Online-Infrastruktur der Länder so vieles ganz schnell zum Besseren wenden. Jetzt lese ich, dass aus den Mitteln kurzfristig ein „innovatives und zukunftsgerichtetes Lehr- und Lernkonzept“ entwickelt werden soll. Nicht nur, dass das jetzt unter dem Zeitdruck der Krise endlich in Gang kommt, was schon seit Ewigkeiten dringend erforderlich wäre. Es wird auch aktuell nur gekleckert. Denn für die digitale Grundausstattung mit Hardware werden für „bedürftige Schüler“ gerade mal 150 Euro locker gemacht. Jeder Mensch weiß, dass es dafür noch nicht einmal einen gebrauchten Rechner gibt. Geschweige denn Programme, die mit denen der Bildungsapparats kompatibel arbeiten. Nein, das ist alles (föderales) Stückwerk und zeigt auch hier, dass wir nicht nur in der Verfügbarkeit des Netzes in der Fläche allgemein, sondern auch in der digitalen Technologie speziell hinter dem Mond leben. Reiner Trabold

 

 

Masken fehlen

Haha. „Masken werden knapp“, titelt die Sonntags-FAZ. Von morgen an wird der Atemschutz im ÖPNV vorgeschrieben – aber die Dinger sind immer noch nicht in ausreichender Stückzahl vorhanden. „Ausverkauft“ lautet die Markt-Diagnose und die meisten Menschen sind auf selbstgeschneiderte Masken, Schals oder Halstücher angewiesen. Der Nachschub ist nämlich dürftig. Das zeigt, wie abhängig ein hochindustrialisiertes Deutschland auch bei Textilien ist. Wäre da nicht Wolfgang Grupp mit Trigema, der sich mit den Masken offenbar eine goldene Nase verdient. Er bietet den „Behelfs-Mundschutz“ für satte zwölf Euro an. Bei Abnahme von zehn Stück zu 120 Euro! Der Preis zeigt, was auch einfachste medizinische Mittel kosten, wenn sie in Deutschland und nicht in einem Billigstlohnland wie China oder Indien unter keinesfalls fairen Bedingungen produziert werden. 35000 Schutzmasken näht Trigema nach eigenen Angaben pro Tag, jedes Stück aus ein paar Quadratzentimeter Baumwolle und Polyester, einem Gummi und Draht für den Nasenbügel - und natürlich dem Trigema-Logo. Der Wareneinsatz kann den Preis also keinesfalls rechtfertigen. Grupp kann mit dem Produkt seinen „systemrelevanten“ Betrieb aufrecht halten, doch der Ausstoß ist – mit Verlaub – angesichts der Marktlage und den jetzt geltenden Vorschriften ein Tröpfchen auf den heißen Stein. Reiner Trabold

 

 

9. April 2020

 

Verrückte Zahlen in verrückten Zeiten

 

O, diese bedrückende Corona-Stimmung kurz vor dem Fest der Auferstehung. Selbst ein blauer Himmel und frühsommerliche Temperaturen können sie nicht aufhellen. Keine gefüllten Gotteshäuser zum großen Fest der Christenheit, der Papst vor einem leergefegten Petersplatz in Rom mit einem urbi et orbi, Stadt und Erdkreis fest in der Gewalt eines neuartigen Virus, dem kein Impfstoff beikommt. Der SPD-Gesundheitsapostel Karl Lauterbach hat heute Nacht bei Markus Lanz wenig Hoffnung gemacht, dass ein Impfstoff noch in diesem Jahr entwickelt und einsatzbereit sein wird. Ja, er ging so weit, die Erwartungen auch für 2021 zu dämpfen. Die Welt, heißt das, muss noch über eine lange Strecke mit dem Coronavirus leben und umgehen. Dies zu lernen, haben wir alle in den vergangenen Wochen unglaubliche Fortschritte gemacht. „Tatsächlich überwiegen bisher, trotz drastischer Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Disziplin und Geduld“, lese ich heute in der Feiertagsausgabe der Süddeutschen. Ich frage mich, wie lange noch. Lauterbach hat auch für Schutzmasken geworben, wohl wissend, dass  selbst für jene zu wenige zur Verfügung stehen, die an vorderster Front arbeiten und den Laden am Laufen halten. Aber die Masken könnten uns aus der Totalisolation befreien.

 

Die Zahl der bestätigten Coronafällen, aktuell rund  110000, sagt mir zu wenig über den Verlauf der Seuche. Außer, dass sie steigt und die Kurve steil nach oben geht. Dabei ist doch klar, dass sich natürlich immer mehr Menschen infizieren. Registriert aber werden ja nur die, die positiv getestet sind. Und da heute weit mehr getestet wird als zu Beginn der Pandemie, muss die Zahl doch auch dann steigen,  wenn die der Infizierten vielleicht schon stagniert. So aber weist die Kurve unverändert Richtung Himmel. Naja, ich muss ja nicht alles verstehen in diesen verrückten Zeiten. Reiner Trabold

 

 

3. April 2020

 

 

Zeit, Neues zu denken

 

Das Virus lähmt die Welt. Viele warten verunsichert auf ein Rezept oder ein Wunder und dass alles so weitergehen möge, wie es vor dem Shut- oder Lockdown war. Dabei ist jetzt die beste Gelegenheit, Neues zu denken.  Raus aus dem Überfluss, rein in eine kollektive Bescheidenheit.  Die Ressourcen unseres Planeten sind endlich. Das wird immer deutlicher – auch wenn uns die Ökonomie vorgaukelt, wir müssten immer mehr konsumieren, damit es uns immer  besser geht. Dieser Weg führt in die Sackgasse. Es ist höchste Zeit, dies zu erkennen und danach zu handeln.

 

Da ist nicht nur der Klimawandel als Signal dafür, dass die Menschheit ihre Lebensgrundlagen überstrapaziert und dabei ist sie zu ruinieren. Die Herausforderung der Zukunft wird sein, den individuellen und den gemeinsamen Konsum zu zurückzufahren, bescheidener zu werden. Die Erde wird sich nämlich nicht durch die gern beschworene Nachhaltigkeit regenerieren, selbst wenn die Grüne Bewegung Urstände feiert. Die Menschheit muss sich entscheiden, ob sie sich vom alten (kapitalistischen) Marktmodell des Wachstums verabschiedet – oder untergeht. Vor allem darüber sollte die jetzige Krise zum Nachdenken anstoßen. Sie macht mehr noch als eine Greta Thunberg bewusst, dass es nicht nur um einen steigenden Meeresspiegel, sondern um eine neue Form des Wirtschaftens geht.  Es gilt, sich zu besinnen auf Werte wie Kultur, Solidarität und Gemeinschaftsgefühl. Sie drohen in der Kakophonie des Internets unterzugehen.  Nicht auszudenken, wenn ein Virus auch noch die digitale Welt in ähnlicher Weise lahmlegte wie das Coronavirus es mit unserem Alltag anstellt.

 

Ich frage mich nicht erst jetzt, wie es sein kann, dass hörbaren  Aufschrei  der Welt Hunderttausende in Flüchtlingscamps dahinvegetieren, weil die Weltmächtigen in Syrien glauben Krieg spielen zu müssen. Kein Aufbäumen, dass  Millionen im Elend in Afrika oder Indien sterben.  Wo ist und was macht die Weltpolizei UN? Who is WHO? Corona öffnet den Blick in den Abgrund. Und die, die es sich leisten können, fürchten um ihr bisschen  Wohlstand, weil sie Zurückhaltung üben müssen. Eine Wiederbelebung des Humanismus täte not. Noch gibt es Hoffnung. Aber es geht um alles – und noch viel mehr.  Reiner Trabold

 

 

 

 

 

 

Wunsch und Wirklichkeit

 

Ei ei ei. Ein „entspanntes Osterfest“ wünschen  Wilfried, Christian und Florian Merz vom Storchennest-Edeka. Lieb gemeint  und gut gemacht die Geschichten von Schuberts Hühnerhof über Fischempfehlungen bis hin zum veganen Osterbraten. Danke dafür. Aber an dem schon vor Wochen produzierten 16seitigen Heft ist die Zeit vorbeigehuscht. Corona kommt darin nicht vor. Noch ein Beispiel: Das Liftstyle-Magazin  „Main Feeling“ stellt das Heft für den Frühling 2020 unter den Generaltitel „Mut“. Gut gewählt. Aber es geht mit keinem Wort um die Viruskrise. „Übrigens beginnt Mut nicht mit heldenhaften Großtaten. Also fassen Sie sich immer mal ein Herz und trauen sich was“, rät Julia Söhngen weitsichtig im Editorial. Inzwischen kennen wir Helden in den Krankenhäusern, Altenheimen, bei der Polizei oder der Feuerwehr,  Menschen an Kassen der Einkaufsmärkte oder als Müllwerker. Das sind alle, die den  Apparat am Laufen halten.  Und ich zähle sogar die dazu, die ihren Hintern zu Hause lassen. Johanna Dürrholz  widmet sich im Magazin der FAZ (Ausgabe März 2020) dem schönen Thema Beauty und Dingen wie der kosmetischen „Vulva-Verschönerung“. So schnell verschieben sich in diesen merkwürdigen Zeiten die Perspektiven, in denen es in Einkaufs-Prospekten der Discounter von Aldi, Lidl und Penny  angeblich alles zu kaufen gibt –  in Wirklichkeit aber tagelang (Scheiß auf Klopapier) noch nicht einmal mehr Mehl zu bekommen war. Reiner Trabold