15. Dezember 2019

 

Nach dem Brexit geht’s erst richtig los

Boris. Ich hatte Johnson im letzten Batsch mit dem Vornamen Ben versehen. Ben Johnson, die Älteren erinnern sich, war Sprinter, demütigte den großen Carl Lewis bei Olympia in Seoul – und machte danach Schlagzeilen als Dopingsünder. Der Schluck aus der Pulle des Boris Johnson war die Aussicht, endlich einen Strich unter dieses leidige, peinliche, nicht enden wollende Ausstiegs-Gezerre zu setzen. Ich bin zwar nicht glücklich über den Wahlausgang, aber darüber, dass es damit vorbei ist. „Get Brexit done“. Dieser eingängige Formel hatte der Sozialist Jeremy Corbyn kein schlüssiges Konzept entgegenzusetzen. Labour scheiterte, weil es keine klare Linie gefunden und kein Ziel definiert hat (was ja auch das Dilemma der deutschen Sozialdemokraten ist).

 

Was Triumphator Johnson dem Wahlvolk verschwieg:  Nach dem 31. Januar 2020 gehen die Verhandlungen mit der EU erst richtig los. Kein Freihandelsabkommen wird den Briten je so gute Geschäfte sichern wie das mit Handelspartnern auf dem Kontinent. Und beim Handel mit den Großen, den Amerikanern und Chinesen, kann das einst so mächtige Empire künftig nicht mehr im Verbund mit seinen EU-Partnern auftreten, sondern wird auf sich allein gestellt sein. Ein Vorteil? Oder reine Selbstüberschätzung? War das Referendum 2016 nicht ebenso wie die Wahl vom Donnerstag auf der Lüge aufgebaut, die Briten hätten in Europa all die Zeit nur draufgezahlt? Und würden von einer Flüchtlingswelle überschwemmt wie von einem Tsunami? Wenn die Briten diese Gefahr mitnoch rigoroseren Grenzkontrollen abgewendet glauben, hätte ihnen auch klar gesagt werden müssen, dass es ihnen in Zukunft erschwert wird, auf dem Kontinent Geschäfte zu machen und sich anzusiedeln. Das trifft vor allem die, die auf Europa vertraut und gebaut haben. Boris steht nach seinem Sieg vor einer schweren Aufgabe. Denn die Nation unter dem Union Jack ist tief gespalten. Reiner Trabold

 

 

11. Dezember 2019

 

For heaven’s sake

Wollen wir es im Vorweihnachtstrubel nicht vergessen: Die Briten, nicht die Engländer allein, wählen am 12. Dezember ein neues Parlament. Lange sah es aus, als würde Premier Boris Johnson dabei die Mehrheit für die Tories gewinnen, die er braucht, um als gewählter Premier Großbritannien endlich aus der EU zu führen. So fordert es das Referendum von 2016. Dass daraus bis zum heutigen Tag vor der entscheidenden Wahl ein Affentanz wurde, hat die Welt mit verwundertem Staunen verfolgt. So richtig waren die Briten und hier vor allem die Engländer ja nie bei der europäischen Sache, genossen einen Sonderstatus. Aber inzwischen redet Brüssel englischer Englisch als Boris Johnson selbst. Englisch ist zur amtlichen Sprache in der EU geworden. Dass Johnson die Wahl gewinnt, ist längst nicht mehr so eindeutig wie es schien, als die Neuwahl beschlossen wurde. Labour mit seinem ungeliebten Führer Jeremy Corbyn holt in den Umfragen auf. Wobei Vorhersagen durch das Mehrheitswahlrecht erschwert werden. Die 650 Abgeordneten werden in ihren Wahlkreisen direkt gewählt. Es kann knapp werden bei einer Unterhauswahl, die zu einer Abstimmung um den Brexit wird. Machen die Briten mit ihren Stimmen den Weg für den Ausstieg frei, wählen sie den Mann, der rechtswidrig die Volksvertretung in Urlaub schicken wollte, wird sich Europa auf den Abschied der Briten aus der Gemeinschaft einrichten und dem Englischen byebye zu sagen müssen. Denn wie kann Europa eine Sprache sprechen, deren Eigentümer nicht mehr dazugehören? Nicht mehr dabei sein wollen? Spricht die EU-Bürokratie also in Zukunft Italienisch, Französisch, Polnisch, Tschechisch, Ungarisch oder am Ende gar Deutsch? Spielen die britischen Mannschaften nach dem Brexit nicht mehr in der Euro-League? Und braucht wirklich ein Visum, der über den Kanal reisen will? Folgerichtig wäre es, sich konsequent abzuwenden, den Fährverkehr und den Euro-Tunnel zu kappen. Tatsächlich aber wird uns Britannien nach dem Brexit nicht nur sprachlich erhalten bleiben, der Deutsche Jürgen Klopp darf for heaven‘s sake mit seinen Reds auch weiter in der Campions League kicken. Reiner Trabold

 

 

1. Dezember 2019

 

Im Haifischbecken

 

Was soll ich davon halten? Pfungstadt will sein Freizeitareal im Süden endgültig sausen lassen, damit sich die Brauerei ein neues Quartier suchen kann? Nichts halte ich davon. Klar, der Braten riecht gar zu verlockend. Ein Investor bebaut das wenig attraktive Gelände des innerhalb kürzester Zeit vom stolzen Vorzeigeunternehmen zur Klitsche verkommenen Bierbrauers zu einem Schmuckkästchen mit Hotel und allen möglichen Kommoditäten um und reinvestiert das daraus gewonnene Kapital in eine moderne Brauerei. Warum erinnert mich das alles an die überzeichneten Zukunftsbilder eines Freizeitparks mit riesigem Saunabetrieb, aus dem – oh Wunder – das marode Schwimmbad aus sich selbst gesunden könnte? Was aus dieser Laus im Pelz der Stadt geworden ist, kann sich jeder selbst ansehen. Nur gut, dass Wald dieses Trauerspiel weitgehend verhüllt. Vergessen sollte es keiner, der sich Städterplaner schimpft.  Die Pfungstädter Brauerei hat die Zeichen ebenso wenig erkannt wie vor Jahren der Bieberauer Biermacher Rolf Schönberger, der letztendlich froh sein konnte, bei der Pfungstädter Brauerei ein Gnadenbrot zu erhalten. Auch er wollte nicht wahrhaben, dass das Rennen im Alleingang nicht mehr zu gewinnen ist. Was der frühere Brauereischef Peter König viele Jahre lang predigte, dass es im Haifischbecken der Bierkonzerne nur mit regionaler Gemeinsamkeit ein Überleben gibt, wollte in Pfungstadt keiner beherzigen. Das Modell Missmanagement wiederholt sich. Schon die dauerhafte Schließung des Freibads war ein Sündenfall für eine Stadt, die sich aufschwingt, den Hessentag 2023 auszurichten. Wahrscheinlich mit der Hauptattraktion eines Haifischbeckens, in dem die Stadt selbst schwimmt. Nicht als Hai, sondern als Beute. Reiner Trabold