30. August 2019

 

Der Sport und das Geld

 

 

Dass Sport etwas mit Geld, mit viel Geld zu tun hat, ist hinlänglich bekannt. Auch dass der Zuschauer am Ende der Depp ist, weil er vom Kicken immer mehr weg und zu den sogenannten Randsportarten geklickt wird. Vieles ist nur noch gegen Cash zu sehen. Wer Bundesliga erleben live will, muss löhnen. Es ist mehr als ärgerlich, dass die Öffentlich-Rechtlichen beim Pokern um die Übertragungsrechte hinten runterfallen, weil sie nicht mehr bereit oder in der Lage sind, die geforderten Summen hinzublättern. Aber es ist nicht nur der Fußball betroffen. Jüngstes Beispiel des Spiels: Deutschland, Mutterland des Autos und Mercedes Benz, wird nächstes Jahr nicht mehr Formel-Eins-Geschäft teilnehmen. Nach dem Nürburgring ist jetzt auch Hockenheim draußen, keine 50 Kilometer von Vettelheim und vielleicht 100 Kilometer von der Stelle entfernt, wo die Rennautos eines Weltmeisters Hamilton herkommen. 22 Termine sieht der Kalender für 2020 vor. Der Ring ist nicht dabei. Weil Formel-Eins-Eigner Liberty Media aus Trumpamerika zu hoch zockte – und die Veranstalter im Badischen das Risiko nicht tragen wollten. Ja, wenn Vettel noch so ziehen würde wie ehemals Schumi, dann vielleicht… Nun gibt es ja einen Nachfolge-Schumi, der Sohn des Rekordweltmeisters. Der fährt freilich noch zweitklassig, aber vielleicht eifert er ja seinem unvergessenen Vater nach. Und Hockenheim kommt wieder. Bis dahin müssen wir uns den ganzen Zirkus im Privatfernsehen anschauen. Reiner Trabold

 

 

 

Parlament auf Eis

Der britische Versuch, die EU verlassen, ist als Drama oder Tragödie längst bühnenreif. Den letzten Akt schreibt jetzt Premier Boris Johnson, einer der Drahtzieher und entschlossenen Befürworter des Brexit, indem er das altehrwürdige House of Commons, die Volksvertretung, einfach in Urlaub schickt. Falsch. Nicht einfach, sondern mit einem Nicken der Queen herself. Damit ist ein geregelter Ausstieg praktisch nicht mehr möglich, ein No Deal, der nicht nur auf der Insel gefürchtete harte Cut, kaum noch abzuwenden. Johnson macht damit wahr, was er versprochen hat. Die 650 Abgeordneten sind entsetzt. Dabei haben sie über den Ausstieg seit Monaten verhandelt. Ergebnislos. Das House of Parliament hatte wirklich genug Zeit, sich auf einen geordneten Ausstieg zu verständigen. Es scheiterte kläglich. Also hat Boris recht, wenn er dem erbärmlichen Treiben ein Pause verordnet.

 

Jetzt ist Johnson am Zug, wobei auch er nach seiner Tour durch Europa einsehen musste, dass auch für ihn das verhandelte Ausstiegs-Paket nicht mehr aufgeschnürt wird, um beispielsweise den „irischen Backstop“ herauszunehmen. Den hatte der neue Premier klar verworfen, was ihn von seiner Vorgängerin Theresa May unterscheidet. Indem er das Parlament ausschaltet, kann es ihm nicht im letzten Moment doch noch irgendwie in den Arm fallen. Beispielsweise indem es den Regierungschef gesetzlich verpflichtet, die Frist für weitere Verhandlungen zu verlängern. Oder das mit dem Brexit überhaupt sein zu lassen. Wenn sich die Herrschaften nur endlich mal einig oder wenigstens einiger wären. Leider reagieren nicht alle so entschieden wie die schottische Tory-Chefin Ruth Davidson, die offenbar aus Ärger über Johnson hinwarf. Auch bei den Konservativen formiert sich Widerstand.  Jeremy Corbyn hat es versäumt, mit Labour einen klaren Kurs einzuschlagen. Vielleicht vereint sich die Opposition aus Verärgerung, dass Johnson sie alle düpiert, unterstützt vom Protest der Straße zu einem landesweiten Aufstand. Doch wer glaubt daran? Der Brexit spaltet die Insel, nicht die EU. Das einzig Tröstliche an diesem Schmierenstück. von Reiner Trabold

 

 

 

3. August 2019

 

Nichts mehr zu retten?

 

 Von Reiner Trabold, Redakteur i.R.

 

 „Der Verbandsgipfel der deutschen Waldbesitzer war gestern in der Hauptstadt, um der Öffentlichkeit in Erinnerung zu bringen, dass die Schäden im Forst weiter zugenommen haben. Und sie warfen der Regierung vor, ihre Maßnahmen zur Verringerung der Schadstoffbelastung seien völlig unzureichend. Sie haben leider nur allzu recht. Denn von den angekündigten Rettungsaktionen für den Wald ist herzlich wenig geblieben. Der Innenminister ist nach großen Worten große Taten schuldig geblieben.“ Nur ein Auszug aus einem Leitartikel von Reiner Trabold vom 29. Mai 1985 im Darmstädter Echo. Der Kommentar unter dem Titel „Der Kanzler im Wald“  endet mit der ernüchternden Erkenntnis, „dass mit Schwanengesängen unter nadelnden Ästen nichts zu retten ist“ und stellt die eher rhetorische Frage: „Ob sich daran etwas ändert?“

 

34 Jahre später könnte man diese Meinungsäußerung bis auf kleine Änderungen noch einmal veröffentlichen. Die Bundeshauptstadt hieß damals nämlich noch Bonn, der Kanzler Kohl, der Innenminister Zimmermann. Und es geht heute nicht mehr allein um Banales wie „Schadstoffe“, sondern um ein umweltpolitisches Monstrum namens „Klimawandel“. Nur die Reaktionen und politischen Mechanismen sind noch die gleichen. Es bedurfte des geballten Protests der „Friday-for-Future“-Bewegung, die Politik endlich wachzurütteln und klar zu machen, dass es um noch viel mehr geht als um den bedrohten Wald. Der wurde ja über Jahrzehnte gesundgebetet, obwohl die Schadenberichte en detail aufdeckten, wo schlecht es um die Bäume tatsächlich bestellt ist. Die Politik hat nicht wahrhaben wollen, dass es nicht fünf vor, sondern schon zehn nach zwölf ist und so getan, als bliebe noch Zeit zu handeln. Das obwohl Wissenschaftler rund um den Globus schon seit langem warnend den Finger heben. Die vom damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter in Auftrag gegebene Studie „Global 2000“ kam schon 1980 zum Schluss, es sei höchste Zeit zum Handeln. Damals ging ein betroffener Aufschrei um die Welt, der freilich verhallte und inzwischen vergessen ist. Wenn man bedenkt, dass ein Nichtsnutz wie Donald Trump 40 Jahre später das Pariser Abkommen zur internationalen Abwehr der Klimakatastrophe auf den Abfallhaufen seiner Politik geworfen hat, müssen einem die Tränen kommen. Der Klimastress, der den Wald sterben lässt, ist längst nicht mehr zu leugnen. Es geht nicht mehr darum, den Sauren Regen zu stoppen, sondern den Ausstoß von Treibhausgasen wirksamen zu bekämpfen. Dafür ist es schon zu spät, die Erderwärmung mit all ihren unermesslichen Folgen zu stoppen oder wenigstens zu bremsen.  Das beste Beispiel dafür, wie wenig sich im Umweltbewusstsein getan hat: Ein weiterer Auszug aus Trabold dem Kommentar von 1985:

 

Wirksame Maßnahmen wie die Wiederbelebung des Öffentlichen Personennahverkehrs und die Verlagerung der Fracht auf die Schiene lassen auf sich warten. Stattdessen werden die Straßen zu Rennstrecken und Transportpisten ausgebaut. Und die Entscheidung über ein Tempolimit ist erst einmal auf die lange Bank geschoben worden.  Die Gegner einer wirksamen Geschwindigkeitsbegrenzung sitzen wahrscheinlich am längeren Hebel. Ein billiges Gegenargument hat gestern der ADAC wieder aufgetischt: Test in der europäischen Nachbarschaft hätten ergeben, dass sich die Autofahrer nicht zügeln lassen. Das suggeriert unseren Autofetischisten, dass ein Tempolimit doch nicht durchzusetzen ist und sie getrost weiter rasen dürfen. Wer wollte sie auch stoppen?“

 

In Frankreich bin ich auf der Landstraße von der Normandie bis an die Grenze zu Deutschland über gefühlt 1000 Bodenschwellen geholpert, die zum vorgeschrieben Tempo 30 zwingen, will man nicht einen Achsbruch riskieren. Soll nur heißen: Es geht. Wenn man es muss, geht noch viel mehr.

 

 

 

 

 

2. August 2019

 

Freier Blick öffnet Richter die Augen

 

Nach dem Abriss des Hauses am Markt soll der Neubau noch einmal überdacht werden

 

Der Bensheimer Bürgermeister Rolf Richter ist ins Grübeln gekommen. „Jetzt, da der freie Blick auf St. Georg Realität ist, muss ich sagen, dass dieser Anblick optisch sehr gut rüberkommt. Und natürlich bewegen mich auch die vielen Kommentare zu diesem Thema“, heißt es in einer Mitteilung aus dem Rathaus. „Auch wenn das neue Gebäude formal beschlossen ist, zeigt sich, dass die deutliche Mehrzahl der Bürger, die das Thema bewegt und die sich dazu geäußert haben, den in dieser Form geplanten Neubau ablehnt und den freien Blick bevorzugt“, so Richter weiter.

 

„Mir fällt dieser Schritt nicht leicht, weil ich von dem Konzept und dem Ziel der Belebung des Marktplatzes als zentraler Baustein für eine zukunftsfähige Innenstadt überzeugt bin“, betont Richter, „aber die Wirkung des freien Blicks auf St. Georg und die Meinungsäußerungen der Bürger haben bei mir zu einer Neubewertung geführt. Wenn in der Bürgerschaft ein Thema so extrem wahrgenommen wird und ein so eindeutiges Meinungsbild herrscht, fühle ich mich verpflichtet, dies aufzunehmen und neue Wege anzudenken.“

 

„Unser gemeinsames Ziel ist es, eine lebendige, zukunftsfähige Innenstadt zu erhalten. Hierbei arbeiten wir mit vielen Gruppen – zum Beispiel dem Bürgernetzwerk – und interessierten Bensheimerinnen und Bensheimer zusammen. In dieser Situation können wir uns kein Projekt leisten, das die Stadtgesellschaft spaltet“, sagt Richter.

 

Jetzt gelte es, den freien Blick auf St. Georg so weit wie möglich zu bewahren und trotzdem den Marktplatz durch Gastronomie zu beleben. Dazu brauche es aber Zeit, um neue Überlegungen anzustellen. Das „Cafe Extrablatt“ soll in die Planungen einbezogen und möglichst am Marktplatz angesiedelt werden. Für das Familienzentrum und die Hospizakademie müssten adäquate Alternativen gefunden werden. Ich empfehle allen, ihre bisherige Entscheidung und Meinung zu überprüfen und das Projekt „Belebung des Marktplatzes“ neu zu denken.

 

Richter hofft, dass der Wunsch der Bensheimer nach einem freien Blick auf St. Georg, das Ziel einer belebten Innenstadt und die Belange der Denkmalpflege unter einen Hut zu bringen sind. Hierzu werden jetzt die Gespräche neu aufgenommen. von Reiner Trabold

 

 

 

KOMMENTAR

 

Lebendiger Markplatz Bensheim

 

Erst jetzt, wo der Blick auf St. Georg frei ist, wird Bürgermeister Rolf Richter schlau und kommt ins Grübeln. Mit etwas mehr Weitblick hätte er schon vor der Entscheidung, das Haus am Markt abzureißen, von der neuen Optik des Marktplatzes wissen müssen. Freilich war er noch ein junger Mann, als das neue Multifunktionsgebäude 1974 gebaut wurde und den Blick auf die Kirche verstellte, aber er muss sich noch erinnern können, wie es einmal war: Der Platz, an dem früher das alte Rathaus stand (es wurde im Krieg ein Raub der Flammen), war ein wenig dekorativer Abstellplatz für Autos. Damals wollte man mit dem Neubau zu viel, jetzt gibt es Pläne, den gleichen Fehler wieder zu begehen. Dabei gehört zu einem attraktiven Marktplatz mehr als ein Publikumsmagnet, wie es ein H&M oder ein Familienzentrum und eine Hospizakademie sein sollen. Bensheim braucht einen lebendigen Mittelpunkt, und dazu ist ein gastronomisches Konzept unerlässlich. Der Platz wird von seiner toten Ostseite erdrückt, im Norden sind es die leerstehenden Fachwerkruinen. Wären da nicht Zierden wie das Fachwerkhaus der Böhlers oder das Ensemble mit der Kaffee-Rösterei „Red Code“ sowie der Marktplatzbrunnen, auch der freie Blick auf St. Georg könnte das Bild dieses Marktplatzes nicht retten. Hier reicht es auch nicht aus, ein neues und teures Pflaster zu verlegen. Der Platz braucht den Wochenmarkt im Westen, eine Terrasse im Osten. Warum sollte es nicht ausreichen, hier einen Ausschank (warum nicht das zum Abriss freigegebene Haus des Weinguts der Stadt) für die Bensheimer Weine samt Café „Extrablatt“ zu etablieren, ohne dass dem Kirchberghäuschen das Publikum verloren ginge? Für so viel Weitblick hätte es sich tatsächlich gelohnt, das Haus am Markt abzutragen. von Reiner Trabold

 

 

 

 

1. August 2019

 

Arg gemächlich

 

Dass die B3 in Zwingenberg grundhaft erneuert und daher für einen Zeitraum von zwei Jahren gesperrt werden muss, sorgt erwartungsgemäß für Verdruss. Schon die langwierigen Bauarbeiten am Kreisel haben von den Verkehrsteilnehmern einige Geduld gefordert. Vor allem für Einzelhandel und Gastgewerbe entlang der Straße bedeutet die Sperrung einen schwerwiegenden Eingriff. Das soll durch eine Unterteilung der Maßnahme gemildert werden. Die Stadt hat sich im Interesse der Betroffenen dafür stark gemacht, die Unzugänglichkeit der Teilstücke möglichst kurz zu halten. Hier ist also keineswegs Willkür im Spiel. Und trotzdem werden einige Anwohner besonders stark betroffen, während die östliche Straßenseite bis zum „Löwen“ städtisches Gelände und unbebaut ist. Die Aufgabe des „Alten Brauhaues“ durch die Pächter ist angeblich eine Folge der im August beginnenden Straßensanierung. Das mag man als voreilige Reaktion abtun und andere Hintergründe vermuten. Fest steht, dass auf Laufkundschaft angewiesene Geschäfte mit jeder Art von Beeinträchtigung zu kämpfen haben und die Baustelle befristet eine ernstzunehmende Wertminderung darstellt – ebenso wie Menschen entlang der Umleitungsstrecke durch Mehrverkehr eine erhebliche Last zu tragen haben. Dies muss man nicht klaglos hinnehmen, vor allem dann nicht, wenn absehbar ist, dass einem durch eine Baumaßnahme über einen längeren Zeitraum die Geschäftsgrundlage wegbricht, weil Gäste und auch Lieferanten das Gasthaus monatelang nicht mehr anfahren können. Zugleich fragt man sich, weshalb an einem Straßenabschnitt von nicht einmal einem Kilometer Länge zwei Jahre lang gebaut werden muss und ob die Baustelle auf einer Bundesstraße gerade an sensiblen Stellen mit etwas gutem Willen nicht um einiges schneller abzuwickeln sein müsste. Wer beobachtet, wie sich Baumaschinen gemächlich durch Ortschaften fressen und anschließend mancher damit verbundene Ärger unter einer schwarzen Decke verschwindet, darf sich über die Gelassenheit der Straßenbehörden wundern. von Reiner Trabold