18. Juli 2019

 

 

Hauptrollen im Sommertheater

 

 

 

Es hat einen Moment gedauert, bis sich der Pulverdampf der jüngsten Personalie dieses Berliner Sommers legt und die Sicht klarer wird. Zuerst die Tatsache, dass eine Verteidigungsministerin ohne Fortune künftig als Präsidentin der EU-Kommission die Interessen Europas verteidigen will. Der Tag darauf präsentiert eine CDU-Vorsitzende ohne Fortune als Nachfolgerin im Amt. Nun lässt sich Ursula von der Leyens Wahl durch das europäische Parlament noch damit erklären, dass die knappe Mehrheit der Abgeordneten das kleinere Übel einem großen Fragezeichen vorzog. Denn ein Nein hätte die EU für längere Zeit noch handlungsunfähiger gemacht als sie ohnehin ist. Wie aber lässt sich die Entscheidung deuten, die zwischen den Parteilinien ins Straucheln geratene Annegret Kramp-Karrenbauer aus der Schusslinie zu manövrieren und sie ins mit Minenfeldern verseuchte Verteidigungsministerium zu schicken? Nach dem Motto: Wer an der einen Aufgabe scheitert, kann es gern auch noch mit einer zweiten versuchen. Entweder war es ein Fehler (oder ein Versehen), die früheren saarländische Ministerpräsidentin, zweifellos eine Frau der Exekutive, zur Nachfolgerin Angela Merkels als Parteichefin zu machen. Oder sie wächst an ihren beiden Aufgaben über sich hinaus. In jedem Fall hat nicht nur der Koalitionspartner SPD ein Führungsproblem. Bei den gebeutelten Sozialdemokraten  deutet sich eine Doppelspitze ab, doch mögliches Personal zeichnen sich derzeit  allenfalls unter jenen ab, die sich am besten wegducken können. Die Union macht einen nicht minder konfusen Eindruck, was auch durch die blitzschnelle Neubesetzung zweier Hauptrollen im Sommertheater nicht überspielen kann. So wird klar, dass nichts klarer geworden ist. Reiner Trabold

 

 

 

Wider die Vernunft?

 

 

 

Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen. Wir handeln vernünftig. Doch was heißt das? Hat nicht jeder auch das Recht, unvernünftig zu sein? Wenn er dadurch nicht andere in Gefahr bringt, sollte jedem freistehen, seine Ratio auch mal über Bord zu werfen. Und da stellt sofort die Frage der Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen. Der Staat nimmt diese Aufgabe - zum Glück halbherzig - wahr. Er macht Gesetze und Vorschriften, die seinen Schutzbefohlenen schreiben, was sie tun dürfen und lassen müssen. Die Menschen dürfen viel, aber sie sollen mindestes genauso viel bleiben  lassen. In einer freien Gesellschaft darf jeder seine eigenen Erfahrungen machen, ohne ständig mit Vorschriften und Regeln traktiert zu werden. Auch oder gerade Kinder und Jugendliche. Woraus sich mit dem Erziehungsauftrag und der Verantwortlichkeit für Eltern Konflikte mit dem Nachwuchs zwangsläufig ergeben. Dass sich auf dem Feld der Eigenverantwortlichkeit in Zeiten eines wachsenden Liberalismus vieles entspannt hat und großzügiger gehandhabt wird, macht es nicht einfacher. Wir alle sollten uns bewusst machen, dass fast nichts zu verhindern ist, was sein soll – oder muss. Schon gar nicht, indem man es verbietet. Sonst gäbe es ja keine Vergehen oder Verbrechen. Auf der Suche nach Haltung und Orientierung gibt es in diesen Zeiten verbreiteter Orientierungslosigkeit manche Auswüchse. Opfer sehe ich bei allen, die ihr Heil im Fanatismus suchen. Das sind die, die ihre Weltanschauung so geradeaus gehen, dass sie rechts und links keinen Platz mehr lassen. Weltverbesserer hat es immer gegeben. Ich frage mich allerdings, ob es zwischen straight und ambivalent nicht  Kompromisslinien gibt, die das Zusammenleben etwas vernünftiger machen. Reiner Trabold

 

 

 

12. Juli 2019

 

Verspätete Einsicht

 

Endlich sagt’s mal einer laut und deutlich. Hans Georg Schnücker, Sprecher der Verlagsgruppe Rhein-Main, stellt im Interview klar, dass journalistische Arbeit einen Wert hat, der nicht verschenkt werden kann. Weshalb Zeitungsverlage seit Jahren online ihre Pretiosen im Netz für umme verschleudert haben, war mir schon vor zehn Jahren unbegreiflich. Ich habe es immer als Zeichen dafür empfunden, dass Verleger zwar ihre Redakteure und Mitarbeiter entlohnen, die erarbeiteten Inhalte, mithin das Herz jeder Veröffentlichung, nicht wertschätzten. Das war sträflich, habe ich stets betont und wurde von "oben" darauf hingewiesen, ich werde schließlich für das bezahlt, was ich als Journalist an Content liefere. Das sei Wertschätzung genug, hieß es. Viel zu spät wurden Bezahlschranken installiert, die auch noch leicht zu umgehen waren. Gleichzeitig wurden abstürzende Auflagenzahlen beklagt. Dass Schnücker jetzt die Position vertritt, der Bäcker verschenke ja seine Brötchen auch nicht, ist keine vernünftige Erklärung dafür, dass journalistische Premium-Ware kostenfrei im Internet zur Verfügung gestellt wurde. Nachdem User jahrelang online mit Gratis-Journalismus bedient wurden, weigern sie sich jetzt, die Schranke gegen Bares zu öffnen, pfeifen auf Premium-Beiträge (Plus-Inhalte) und laufen zu Bloggern und Postern wie BATSCH über, bei denen es nix kostet. Schnücker, Sie haben Recht, aber Ihre Einsicht kommt Jahre zu spät. Reiner Trabold

 

 

 

Appell an die Vernunft

 

 

 

In die Kakophonie der Wunderheiler wider die Klimakatastrophe stimme ich gern ein. Es gibt viele, die behaupten zu wissen, was zu tun ist, um die Welt vor dem Untergang zu retten. Es gibt andere, die fest daran glauben, dass sich das Klima ohne Zutun des Menschen verändert und deshalb er auch keinen Einfluss auf die Erwärmung der Atmosphäre habe. Das sind vor allem  die, die fernab der Küsten leben und denen es egal ist, ob es Ozeanien und viele Regionen im Meeresnähe auch in Zukunft gibt. Es ist der rücksichtslose Egoismus („Wir zuerst“), der verblüfft und den Atem raubt. Habe gerade in meiner Zeitung in einem Kommentar von Markus C. Schulte von Drach in Sachen Umwelt einen Appell an die Vernunft gelesen. Nur wenn mit den wichtigsten Produkten und Produktionsmitteln verantwortlich umgegangen werde und Ansprüche deutlich zurückgeschraubt würden, sei in fürs Klima noch nicht aller Tage Abend. Das bedeutet: Schluss mit der gnadenlosen Gewinnmaximierung eines entfesselten Kapitalismus, ein umgehendes Ende mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe, auch der Kohle und der Verbrennungsmotoren, PS- und Tempolimits selbst für E-Autos, entschlossener Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, recyclingfähiges Verpackungsmaterial. Es gibt also reichlich zu tun, egal ob die Welt damit gerettet werden kann oder nicht. Und was sagt der Egoismus dazu? Sind wir es nicht denen schuldig, die nach uns kommen, alles Menschenmögliche zu versuchen? Und zwar ohne große Rücksicht auf mögliche Einschränkungen zu nehmen. Es ist verantwortungslos zu glauben, man könne sich alles kaufen, was man sich leisten kann, zu Billigstpreisen in die weite Welt zu fliegen oder auf rußenden Luxus-Linern die Ozeane zu bereisen, Rohstoffe zu verballern, voller Gier Fleischberge zu vertilgen und gedankenlos nach dem Motto „nach uns die Sintflut“ zu leben. Wie von Drach schreibt: „Auch in einem Land mit Demokratie und Marktwirtschaft hört die Freiheit des Einzelnen da auf, wo die Lebensgrundlagen aller bedroht sind.“ Dem stimme ich im Konzert der Klimaretter uneingeschränkt zu. Reiner Trabold

 

 

 

 

 

3. Juli 2019

 

Nein, sowas!

 

Wie kann man Europa das antun? Was die Kungelrunde der Regierungschefs da präsentiert, lässt einen vom Glauben abfallen. Ursula von der Leyen, als Verteidigungsministerin in Berlin kläglich gescheitert, soll nach Brüssel verkappt werden. Damit gelänge Kanzlerin Angela Merkel ein doppelter Coup. Denn sie würde die Ministerin, die die ohnehin heruntergewirtschaftete Bundeswehr zur Gurkentruppe hat verkommen lassen, nicht nur komfortabel entsorgt, sie würde auch noch die starke Position Deutschlands in der EU unterstreichen. So aber haben wir nicht gewählt, auch nicht gewettet. Uns Bürgern für Europa wurden ganz andere Spitzenkandidaten vorgesetzt, und sie haben auch unsere Stimmen bekommen. Doch so ist das in diesem Europa: Das vom Volk gewählte Parlament soll nur noch absegnen, was der Rat der Weisen ausgeheckt hat. Das hat bisher funktioniert, dieses Mal scheint es nicht zu klappen. Nach einem Verhandlungsmarathon wird klar, dass es der EVP-Kandidat Manfred Weber (CSU) nicht wird, sondern überraschend von der Leyen. Das kann nicht gutgehen. Das wird sich die parlamentarische Abteilung nicht bieten lassen. Hoffe ich jedenfalls. von reiner trabold

 

  

 

Brandgefährlich

 

Die Waldbrände von Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern und bei Münster bei Dieburg legen ein brisantes Problem offen: Auf den munitionsverseuchten Flächen haben es Feuerwehren nicht nur mit Flammen und Glutnestern zu tun, sondern auch mit Blindgängern aus längst vergangenen Zeiten. Die Muna bei Münster ist eine 280 Hektar große Konversionsfläche, die nach dem Abzug der Amerikaner an den Bund überging. Weil die Beseitigung von Kampfmitteln kostspielig ist, bleiben die gefährlichen Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg liegen und das Areal Sperrzone. Nur ein kleiner Teil wurde gesäubert und zum Gewerbegebiet Breitefeld. Als die US-Streitkräfte mit ihren Atomsprengköpfen aus den Silos der abzog, hinterließ sie das riesige Gelände wie sie es vorgefunden hatte. Über die Beseitigung der Überreste der Munitionsanstalt (Muna) der deutschen Luftwaffe aus den 30er Jahren wurde immer mal wieder gesprochen, doch geschehen ist nichts. Es kann freilich nicht sein, dass der Bund die Konversionsflächen zwar vermarktet, seinen Verpflichtungen zur Kampfmittelräumung aber nicht nachkommt. Dass bei Lübtheen offensichtlich Brandstifter am Werk waren, gleichzeitig auf einer weiteren militärischen Fläche Feuer ausbricht, kann das Zufall sein. Ist die Vermutung abwegig, dass hier gezielt auf kampfmittelbelastetem Gebiet Feuer gelegt wird, um auf einen brandgefährlichen Missstand aufmerksam zu machen? von reiner trabold

 

 

1. Juli 2019

 

Mann wird 70

 

Mann wird alt. Frage mich, wo die Zeit geblieben ist. Sie wird immer schneller.  Aus Trab wird Galopp. Was heißt schon alt? Reich an Jahren? Oder ist alt Gebrechlichkeit. Ist Mann nicht mehr so schnell in Gang und Gedanken? Nicht mehr spontan, dafür weniger belastbar. Dafür mehr Rücken. Kurz: Alles, was Mann früher von sich sagte, geht dahin. Dem Ende näher, als Mann sich bisher eingestehen wollte. Haut runzelt. Haar nicht mehr da, der kümmerliche Rest zum Zopf gebunden. Mann gibt öfters klein bei, wird peu à peu kleiner. Schrumpft, der Mann. Und er bemüht sich trotzdem, Schritt und Anschluss zu halten, hört schlecht, ist – aufgehorcht – ohne Lauschhilfe noch längst nicht taub. Sieht aus blauen Augen, nur mit Brille Buchstaben. Liest viel, vieles mit Zeit und Genuss, was er jung nur regelrecht verschlungen hat. Redet weniger, dafür noch mehr Stuss. Übt die Finger auf den Tasten, produziert angestaubte Gedankensplitter, literarisch Mittelmaß. Mann ist Rentner, altes Eisen, hasst Ruhestand und ist doch froh, seine Ruhe zu haben. Mann ist im Schlussakkord, will aber noch mitspielen im Orchester des Lebens und keinesfalls überhört oder gar -sehen werden. Ja, Mann ist noch wer, sagt Mann. Auch mit greisen 70.

 

 

 von Reiner Trabold