Der Landgasthof in Grasellenbach ist nach „Hagen“ benannt, was ein paar Meter vom nächsten Siegfried-Brunnen entfernt nicht wundern kann. Wer das Nibelungenlied kennt, weiß, wie das mit Hagen, Siegfried und dem Lindenblatt war, das dem Recken beim Bad im Drachenblut auf den Rücken fiel. Eben an die Stelle, die fortan Siegfrieds Achillesferse war und ihm zum Verhängnis wurde. Deshalb gibt es im Haus Hagen einen „Hagen von Tronje-Saal“. Der Chef heißt Daniel Hagen, steht höchstpersönlich am Herd und kocht regional, seit er das Haus 2007 übernommen hat.
Das Dressing zum Salat aus der Buffet ist dezent gewürzt mit einer deutlichen Süße. Die Aceto-Balsamico-Sauce zum Jungschweinfilet schmeckt ebenfalls süß (so süß, dass sich der Koch am liebsten reinsetzen würde, wie er sagt), das Fleisch durch, aber saftig, das Kartoffel-Gratin belanglos. Pfiffig die Idee mit den Odenwälder Tapas. Zwei im Rote-Bete-Pulver eingefärbte Sushi-Scheiben „odenwälderisch“ interpretiert. Knackig die frittierten Champignons, ein Genuss die selbstgemachte Sülze. Originell ist’s schon, was Hagen auf den Vorspeisen-Teller zaubert.
Das im Reifeschrank gealterte Beef ist medium-rare mit einem ordentlichen Berg Zwiebeln bedeckt. Das Rind wurde im Brensbacher Regionalschlachthof geschlachtet. Chefkoch Hagen verbürgt sich, dass das trocken alternde Roast beef on bone von Tieren stammt, die auf Odenwälder Weiden gegrast haben. Was an Rib-eye serviert wird, ist vorzüglich, saftig und hat Biss. Die Pommes dazu sind ein Kompromiss, in Odenwald-Gasthäusern verpönt, weil Convenience aus der Tüte, aber bei all denen beliebt, die sie sich zu Hause mangels Fritteuse nicht zubereiten können, argumentiert der Wirt. Die Dessert-Variation („das Beste aus unserer Patisserie“) à la Hagen für 7,80 Euro ist mächtig und reicht locker für zwei.
Mein Fazit: Abend- und magenfüllend. Der Ansatz zur Raffinesse ist unverkennbar, aber die Portionen kommen dann doch eher rustikal auf den Tisch. Man wünschte sich, der talentierte Koch hätte den Mut zum Griff in die Aroma-Schatulle seines schmucken Würzlädchens. Nach Vorspeise, Hauptgang, Dessert steht der Gast auf und hat das Gefühl, sich gehen gelassen zu haben. Falls Teller leer: Überfressen. Es fällt auf, dass unterm Strich eine Summe steht, die in der Stadt für nicht viel mehr als eine Pizza mit einem Glas Chianti reicht. Apropos Pizza. Auch wenn es einem Hagen schwerfallen wird, denn die Pizza ist in seiner Mischkalkulation der Bringer: Sie steht nun mal für Napoli und nicht für Odenwald. Regional geht anders. Warum nicht eine Odenwald-Pizza als Omelette mit Leber-, Blutwurst und Majoran?
Spargel aus dem Vakuum
Die Portion Stangenspargel im Grasellenbacher Gasthof „Hagen“ ist untadelig, perfekt gegart, al dente, nicht zu nature. Wie uns der Koch Daniel Hagen versichert, bereitet er den Lampertheimer Spargel sous-vide zu. Das ist praktisch. Die Portionen werden im Vakuum mit Aromen von Zitrone, Orange, Salz und Zucker bei 85 Grad gegart. So kann die Küche auf Vorrat arbeiten und ist selbst dann noch Herr der Lage, wenn das Gasthaus mit seinen mehr als 60 Sitzplätzen randvoll ist. Entscheidend: Selbst bei längerer Lagerung im Kühlraum geht nichts vom Aroma verloren – und es kommt kein Kühlschrank-Geschmack dazu.
von Reiner Trabold
fotos: copyright regina trabold