29. Dezember 2022

 

Die Welt ist ungerecht

 

Dieser Tage lese ich in einem Leitartikel meiner Zeitung über die Unfähigkeit der Bundesverteidigungsministerin. Sie macht in mancherlei Hinsicht eine schlechte Figur in einem Amt, das ihr überantwortet wurde, sie aber offenbar nicht haben wollte. Aber ihr die Schuld an all der Pannen-Bundeswehr zuzuschreiben, ohne zu erwähnen, wer vor ihr die Ursachen für die Verteidigungsunfähigkeit der Republik zu verantworten hatte, ist einfach nicht fair. In der Verkehrspolitik ist nach 16 Jahren erstmals kein CSU-Politiker zuständig, sondern einer von der FDP. Ihn für die Malaise der Deutschen Bahn verantwortlich zu machen, ist zwar zulässig, aber definitiv falsch. Bei der Bahn wurden die Weichen lange vor ihm falsch gestellt, sie wurde regelrecht kaputtgespart. Ähnliche Erfahrungen macht der Gesundheitsminister, dem ein Versäumnis seiner Vorgänger nach dem andern auf die Füße fällt. Diese Mechanik lässt sich in fast allen Zuständigkeitsbereichen feststellen. Wenn die SPD daran erinnert, dass die Ampel in fast allen Bereichen die Fehler vergangener Jahre aufzuarbeiten habe, bekommt sie aus der Opposition heraus meist die Retourkutsche zu hören: Ihr wart ja auch dabei. Vornehmlich die Union hat sich in der erzwungenen GroKo immer bestens darauf verstanden, erfolgreiche Initiativen der SPD als die ihre zu verkaufen. Jetzt dreht sie den Spieß um. Ich frage mich, warum dieses hinterhältige Spiel von so vielen Medien mitgespielt wird und sage mir: Die Welt ist ungerecht. Reiner Trabold

 

Notizblog zum Advent

 

24. Dezember 2022

 

Kaum ein Wort ist in jüngerer Zeit so fulminant ins Gespräch gekommen wie das Narrativ. Es hat etwas Mystisches, geradezu Unerklärliches. Die Geschichte, die an diesem heiligen Abend zu erzählen (lat. narrare) ist, ist die vom Jesuskind in der Krippe zu Bethlehem. Eine zwingend erforderliche Resonanz- und Rezeptionsgemeinde, mithin Menschen, die die Erzählung hören wollen, ist mit der Gemeinde der Gläubigen ja vorhanden. Dem Wunder – und das ist nicht nur die Geburt eines Heilands allemal – hat sich die Kirche angenommen, ihre fromme Geschichte daraus gebastelt und in ihr Weltbild eingefügt. Der Stall, die jungfräuliche Mutter Maria, Papa Josef, der Knabe im Stroh, der Stern, die drei  Könige, die ihm folgen. Das klassische Narrativ.

 

23. Dezember 2022

 

Morgen, Kinder wird’s was geben. Das Lied haben wir als Kinder auswendig geträllert. „Welch ein schöner Tag ist Morgen. Neue Freude hoffen wir. Unsre guten Eltern sorgen lange, lange schon dafür. Oh gewiss, wer sie nicht ehrt, ist der ganzen Lust nicht wert.“ In der letzten Strophe wird klar, dass für Lichterglanz und Gaben kein Christkind, keine Engelchen und auch kein Santa Claus, sondern – und zwar bis ins hohe Alter des Nachwuchses  -  die guten Eltern sorgen. Viele haben sich die mahnenden Worte zu Herzen genommen. Die Kinder von einst haben inzwischen längst selbst Kinder. Auch für die wird’s morgen was geben. Ob sie das Weihnachtslied noch kennen?

(tra)

 

22. Dezember 2022

 

Warteschleifen – auch wenn Musik noch so feierlich aus dem Hörer tönt – sind eine Zumutung. Vor allem dann, wenn sie sich nach längerer Zeit und der mehrfachen Bitte um „etwas Geduld“ mit einem dreifachen Piepen wortlos verabschieden und die Verbindung tot ist. Noch nerviger ist, sich beim Wunsch nach einem persönlichen Gespräch von künstlichen Stimmen nach Zahlen durchs elektronische Labyrinth eines virtuellen Vorzimmers dirigieren zu lassen – um letztendlich frustriert aufzugeben oder an der ganz und gar falschen Adresse zu landen. Wir haben uns schon an so viele Automaten gewöhnen müssen, dass wir diese Unart des Kundendienstes klaglos akzeptieren. (tra)

 

21. Dezember 2022

 

Heute vor genau 19 Jahren habe ich in der Säulenhalle in Pfungstadt geheiratet. Es war ein Sonntag. Unser Freund und Standesbeamter, der Bürgermeister persönlich. Sonst nur unser knapp Einjähriger mit uns im großen Saal. Die Ansprache ist feierlich, bis der gelangweilt herumrennende Sohn mit dem Kopf gegen eine Tischkante knallt und den Raum mit seinen Schreien füllt. Der kleine Mann braucht jetzt erst einmal Trost. Das Ja-Wort muss warten, aber es kommt – und wir sind fortan auch vor dem Gesetz eine glückliche Familie, die sich zehn Monate später um die weltbeste Tochter vergrößert. (tra)

 

20. Dezember 2022

 

Chanukka (hebräisch für „Einweihung“), das jüdische Lichterfest, hat am vergangenen Sonntagabend, dem vierten Advent, begonnen und dauert acht Tage bis zum 26.12. Zufällig treffen sich der jüdische und gregorianische Kalender am zweiten Weihnachtsfeiertag der Christen.  Auf der Chanukkia, so heißt der Kerzenständer, auf dem in den nächsten Tagen jeweils eine Kerze entzündet wird. Und zwar mit der neunten Kerze, der in der Mitte, dem Diener. Ich habe mir das mit dem Lichterfest vor Jahren von meiner jüdischen Freundin Irith erklären lassen. Das Fest geht auf eine Tempeleinweihung vor Urzeiten zurück. Wichtiger für Juden heute: Acht Tage lang werden Geschenke verteilt, und beim Dreideln gibt‘s Süßes. Ich habe Irith besucht, als auf dem Fenstersims alle Kerzen brannten. Es gab leckeres Fettgebäck und Klezmermusik aus Iriths Klarinette. Schöne Erinnerungen an einem Tag, an dem bei uns alle vier Adventskerzen brennen. (tra)

 

19. Dezember 2022

 

Es ist ein Kreuz mit den senkrechten und waagerechten Wortspielereien. Manche Rätsel haben es in sich und beschäftigen mich stunden-, ja tagelang. Ich knobele und googele, denke hoch und rüber, um die Ecke und quäle mich im Quadrata. Kurz: Ich verbringe recht viel Zeit mit dem Raten auf Raten. Normales Kreuzwort, die Frage nach abrufbarem oder lexikalischem Wissen, reizt dabei weniger.  Herausforderung ist detektivische Begriffssuche. Beispiel gefällig? „Schnurstracks die verstofflichste Umrundung, ihn beschient Wohnmobilist für strammere Vorzeltfreude.“ Mit fünf Buchstaben. Ich komm einfach nicht drauf. Eine Tortur. Wer’s weiß, sage mir Bescheid. Danke.

 

18. Dezember 2022

 

Kann ich mir die Bäckerei daheim noch leisten? Zweifellos spricht dagegen, dass der heimische Ofen teuren Strom frisst. Watt soll‘s: Beim Backen geht mir das Herz auf wie der Sauerteig, den ich füttere und pflege. Den vermische ich mit  Wasser, Salz und Mehl. Anderes kommt nicht rein. Dann die Handarbeit, das Kneten, Ziehen und Falten, das Gären, Gehen - und Warten. Eine Portion Geduld gehört nämlich zum Rezept. Wenn es mir dann aus dem Rohr verlockend entgegenduftet, freue ich mich aufs frisch gebacke Brot oder Brötchen. Ich beiße rein und weiß: Es lohnt sich. (tra)

 

17. Dezember 2022

 

Wer schmiert warum?

Eine griechische EU-Parlamentarierin, Sozialdemokratin dazu, soll mit anderen von einem „arabischen Staat“ (einiges spricht für Qatar, aber bewiesen ist nichts) bestochen worden sein. Und um den Vorwurf der Korruption zu untermauern werden auch gleich noch Plastiktüten voller Euros bei der Politikerin gefunden. Ist das nicht eine Geschichte, die allzu offensichtlich in eine Richtung zeigt? Wer, bitteschön, wird heutzutage noch mit Säcken voller Geld gekauft? Hört sich eher nach Fake-News an. Oder nach einem inszenierten Coup, der nur eine vernünftige Erklärung hat: Sie passt zur Streubomben-Politik derer, die größtes Interesse daran haben, Europa zu schaden und die Demokratie zu attackieren. Wäre da nicht der offenkundige Versuch gewesen, Qatar in einer Rede vor dem Parlament von Vorwürfen reinzuwaschen, spräche vieles für diese These. Dennoch: Der Schmiergeld-Skandal streut Sand ins Getriebe eines Gremiums, das anderen (zum Beispiel Ungarn) Korruption oder den Bruch des Völkerrechts (wie Putins Russland) vorwirft. Was sind schon ein paar Säcke Geld als Einsatz im Vergleich zu dem Erdbeben, das in der Folge dieses Skandals in der ganzen westlichen Welt auslöst? Daher erscheint mir die ganze Schmiergeld-Affäre zweifelhaft. Ich traue die Strategie der Destabilisierung vor allem Putins Geheimdienst zu. Reiner Trabold

 

Notizblog zum Advent

 

17. Dezember 2022

 

Über das „Phänomen der neuen Unverbindlichkeit“ lese ich in einem Aufsatz meiner Zeitung, im Goldenen Zeitalter habe man sich noch „hanebüchenes Zeug“ einfallen lassen müssen, um Verabredungen abzusagen. Doch mit Covid „haben wir endlich die ultimative Ausrede“. Für alles.  Für jeden. Für jede Zeit. Ob Reservierungen im Restaurant, beim Friseur, Anmeldungen zur Lesung, Freunden oder Bekannten – „Corona ist die Wildcard, die immer zieht.“ So steht’s in der Zeitung. Und wie halten wir’s mit den Viren? (tra)

 

 

 

16. Dezember 2022

 

Alles klar Katar. Seit Mittwochabend wissen wir, wer um den Titel spielt, wenn bei uns am Sonntag das vierte Adventslichtlein brennt. Ich weiß sogar, wer Weltmeister wird, könnte mich aber irre. Deshalb behalte ich es für mich. Ein bisschen Überraschung muss kurz vor Weihnachten schließlich sein. So viel freilich sei klargestellt: Auch wenn’s bei uns deutlich kälter ist als im Wüstenstaat. Eine Winter-WM war es auch am Persischen Golf nicht. Der Winter beginnt kalendarisch nämlich auch dort erst am 21.12. Alles klar? (tra)

 

15. Dezember 2022

 

„Außerdem merke sich ein jeder, nicht mit dem ergrauten Schopf schreibt man, sondern mit dem Verstand im Kopf, der ohnehin mit den Jahren immer schärfer wird.“ Das behauptet kein geringerer als Miguel de Cervantes in seiner Vorrede an den Leser des zweiten Teils seiner ergötzlichen Erzählung über den „geistvollen Hildago Don Quichote von der Mancha“. Ich hoffe, Cervantes hat Recht.  (tra)

 

14. Dezember 2022

 

Ja weil fängt das letzte Kapitel auf Seite 863 der deutschen Dünndruckausgabe von „Ulysses“ von James Joyce an dazwischen weder Punkt noch Komma nicht ein Absatz und schwerer Stoff kann trotzdem nicht aufhören zu lesen weil mich der Wörterfluss mitreißt ich immer wieder Satzenden suche selbst Punkte setze Anfänge nicht finde dann bin ich auf einmal durch habe mich mit der zeichenlosen Sprache nicht angefreundet aber sie akzeptiert Weltliteratur ist eben nicht einfach ich schlage das Buch ergriffen von der Leistung des Autors zu bewundere die von Joyce autorisierte Übersetzung von Georg Goyert ins Deutsche ich habe das Werk im Original gelesen war eine andere Zeit und ein anderes Leben ich zog ihn herab zu mir dass er meine duftenden Brüste fühlte ja und ganz wild schlug ihm das Herz und ja sagte ich ja ich will ein großes Ja beendet das große Werk auf Seite 925 in diesen vorweihnachtlichen Tagen Punkt. (tra)

 

 

 

13. Dezember 2022

 

Halt, halt, halt. So viel wie Stopp. Aber es hält keiner an, es geht halt fließend weiter. Das Wörtchen, das eigentlich einen Punkt benötigt, wird inflationäre in die Sprache geschüttet. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin trotzdem zu keiner Deutung gekommen. Ein Füllwort, eine Angewohnheit, eine Belanglosigkeit. Dahingeworfen aus einer Verlegenheit heraus und das Satzende mitten im Satz ersetzend. Halt. (tra)

 

 

12. Dezember 2022

 

Wer hätte gedacht, dass eine ampulla (lat. für kleine Flasche) mal eines der meistgebrauchten Wörter im Sprachschatz deutscher Kommentatoren werden könnte? Im Straßenverkehr wurde die erste Lichtsignalanlage am 10. Dezember 1868 in London vor den Houses of Parliament für Pferdekutschen aufgestellt. Sie sollte Abgeordneten sicher über die Straße helfen. Die drehbare Laterne leuchtete mit rotem oder grünem Licht. Überliefert ist, dass ein Polizist beim Anzünden der Gasleuchte ums Leben kam, als ihm das Ding unter den Händen explodierte. Vor Ampeln ist bis heute Vorsicht geboten. (tra)

 

 

11. Dezember 2022

 

Lange haben wir überlegt, wie wir sie rufen wollen. Unser Hund ist kein Hund, sondern eine Hündin und waschechter BEAGLE. Aus einem I-Wurf. Das verpflichtet den Besitzer zum I-Namen. Als Freunden eines guten Tropfens fallen uns spontan Riesling, Silvaner, Chianti, PiWi oder Vini ein. Zu weinselig, finden die Kinder. Ein Gedankensprung führt über Beagle „Snoopy“ und Charlie Brown(ie) schließlich zu „Charlie“, weshalb sie (die alte Gender-Problematik) oft für einen Er gehalten wird. Wir lieben unsere Charlie, die ich Scharlí nenne. Eine Herz-Dame mit riesengroßem Appetit. (tra)

 

 

10. Dezember 2022

 

„Dies ist eine ganz besondere Ausgabe. Die Bilder des Jahres – kommentiert von den Großen der Weltliteratur.“ Der ZEIT ist im Rückblick auf dieses Jahr der „Zeitenwende“ der Beweis gelungen, wie aktuell und stark das Wort sein kann. Der Empfehlung, dieses Stück Zeit auf 50 Seiten als „literarische Navigation“ zu lesen und zu verstehen, bin ich bereitwillig gefolgt. Die Themen, die uns beschäftigen, die Sorgen, die uns quälen, die Nachrichten, die uns erschüttern – sie sind nicht neu. „Und gerade das kann tröstlich sein“, schreibt Andreas Lebert über diese ganz besondere Ausgabe. Chapeau. Ich ziehe die (Batsch)Kappe. (reiner trabold)

 

9. Dezember 2022

 

Hinterm Türchen mit der Neun ist ein Absatz aus dem Märchen zu lesen, in dem der gierige König der schönen Müllerstochter befiehlt, Gold zu spinnen, weil ihm deren Vater diesen Floh ins Ohr gesetzt hat. Ich kenne Grimms Märchen, in dem ein Gnom zu Hilfe kommt, der sich („schnurr, schnurr“) aufs Goldmachen versteht: Die angeblich goldspinnende Maid wird Königin, bekommt ein Baby, das sie aber in ihrer Verzweiflung dem kleinen Männchen („heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hole ich der Königin ihr Kind“) versprochen hat. Sie kommt nur aus dem Schwur, wenn sie den Namen des Bürschleins errät. Im dritten Anlauf weiß sie, dass… Nein, ich spoilere nicht. Die Lösung lesen wir unter 24. (tra)

 

8. Dezember 2022

 

Es hagelt Kritik. Nein, nicht dass ich Kritik nicht abkönnte. Ich habe in meinem langen Leben schon genug ausgeteilt und anderen mit Kommentaren den Marsch geblasen. Naja, das ist schon einige Zeit her. War ich jemals unfair, habe ich über die Stränge geschlagen? Sicher. Aber es war, denke ich, meist gut begründet und sachlich gerechtfertigt, wenn ich Kritik geübt habe. Heute ist das, was ich zu hörem oder lesen bekomme, oft kein Kontra, sondern einfach gehässig, verletzend und irreparabel. Ich fürchte, auch hier geht ein Stück Kultur dahin.

 

 

7. Dezember 2022

 

Aus in den Vorrunden 2018 und 2022. Aus im Achtelfinale bei der EM 2018. Das reicht vielen, um den deutschen Fußball in Grund und Boden zu quasseln – und nach der Mannschaft ausgerechnet Manager Bierhoff in die Wüste zu schicken. Die Nationalelf hat’s zweimal hintereinander vermasselt. Schade. Schande, schreien viele. Nun, eine Schande war es, überhaupt anzutreten im Land der Kamele, der Sklavenarbeit und Homophobie. Länder wie Italien haben sich diese Schande erspart, indem sie sie sich erst gar nicht  qualifizieren wollten. (tra)

 

6. Dezember 2022

 

Die Stiefel waren vorschriftsmäßig geparkt vor der Wohnungstür. Oft war ich damit schon erfolgreich? Und jetzt. Nix. Noch nicht einmal ein bisschen Naschwerk. Selten habe ich mich so verraten gefühlt. Regelrecht im Stich gelassen. Ich bin sauer, weil’s nichts Süßes gegeben hat. Ob’s daran liegt, dass ich dem bösen Ruprecht die Tür nicht geöffnet habe? Mich beschleicht ein schlechtes Gewissen. Die leeren Stiefel muss ich mir heute wohl anziehen. (tra)

 

5. Dezember 2022

 

Nikolaus ist ein braver Mann. Aber er hat einen Knecht, der heute Abend sein Unwesen treibt. Ruprecht kommt mit Rute und Ketten, um all die Sünder auf- und heimzusuchen, die ihre Sünden noch nicht gebeichtet haben. Diese Bösen steckt er in den Sack. Der Kinderschänder geht übers Land und hat das schlechte Gewissen dabei. Wo ist der, der ohne jeden Tadel ist? Nun. Es ist der, der uns den nächsten Morgen versüßt, nachdem uns sein Knecht besucht hat. Der brave Mann. (tra)

 

 

4. Dezember 2022

 

Jammern hilft nicht. Höre ich immer wieder. Stimmt aber nicht. Zeigt mir mein Hund jeden Tag. Charlíe kann tonlos jammern, wenn sie nicht das bekommt, was des Beagles ist. Fresschen, Leckerli, Belohnung. Nix wie her damit. Ich bin immer wieder fasziniert, mit welch selbstverständlicher Gier das Tier nach dem schnappt, was ich ihm zuwerfe. Diese abgrundtiefen schwarzen Augen, den Kopf zur Seite geneigt, der treue Blick, das gnadenlose Flehen.  Jammern macht Sinn. (tra)

 

 

3. Dezember 2022

 

Aus, aus, das Spiel ist aus. Wieviel im Aus war der Ball, der Japan das Siegtor gegen Spanien bescherte? Es wäre klar gewesen, wenn es nicht den Video-Beweis gäbe, der den Umfang eines Fußballs so genau berechnet, dass er noch die Linie berührt und daher nicht in vollem Maß darüber hinaus ist. Jedes menschliche Auge sieht es ganz anders als die Maschine. So entscheidet eine Fingerspitze oder Haartolle über ein Abseits, wenn der Computer Schiedsrichter ist. Wie bedauerlich, dass es den Video-Beweis nicht schon 66 in Wembley gab. (tra)

 

2. Dezember 2022

 

56 Mal.

Ich habe mitgezählt. In nur einer Sendung von 45 Minuten fällt 56 Mal das Wörtchen „genau“. Es wird gern gebraucht, wenn etwas exakt so ist, wie es sein soll. Aber es nervt, weil natürlich nicht, nun, sagen wir, wenig so ist, wie es zu sein hat. Sondern Zustimmung signalisiert wird. Ja, du hast Recht, und ich widerspreche nicht. Unnötig, es zu sagen und auch noch mehrmals zu wiederholen. Ihr wisst, was ich meine. Genau. (tra)

 

 

1. Dezember 2022

 

Frieden.

Das Wort, das mir zum heutigen Tag nach Krieg als erstes einfällt. Nichts wünsche ich mir mehr als Frieden, wenn ich heute das erste Adventstürchen des Jahres 2022 öffne. Es ist schwer zu verstehen und noch weniger zu ertragen, dass sich Menschen gegenseitig umbringen, weil es ihnen ein Irrer befohlen hat. Nichts wünsche ich mir zum Advent mehr, als dass auf dieser drangsalierten Erde, beschauliche Ruhe herrscht, keine Schüsse. Stille. Frieden. (tra)

 

 

 

 

19.11.2022

 

So leb denn wohl

 

Darmstadt, da muss durch, wer rein will. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, und der Autofahrer darf auf allen Straßen der Stadt nur noch kriechen. Egal, wie breit und gut ausgebaut die Wege sind, Schleichgeschwindigkeit, „wo immer es geboten scheint“ (also überall) scheint unausweichlich. Gründe, langsam zu tun, gibt es zuhauf: Kitas, Schulen, Alten- und Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser, Lärmschutz, weniger Schadstoffe und Unfälle. Runter vom Gas heißt die Devise bei der Beschleunigung des Prozesses, auf allen Straßen der Stadt das Tempo zu reduzieren. Die nächste Stufe, Darmstadt vom lästigen Verkehr zu befreien und alle Teilnehmer aufs Lastenrad zu bringen, ist die Totalsperrung für Fahrzeuge aller Art. So leb denn wohl, Darmstadt. Reiner Trabold

 

 

 

02.10.2022

 

Zeitenwende

 

Klar. Das Dreierbündnis aus Rot, Grün und Gelb lässt immer wieder offen, auf welche Farbe die Ampel gerade steht. Trotzdem erledigt sie ihre Arbeit - und regelt den Verkehr so schlecht nicht. Dass in diesen Krisenzeiten in Hunderten von Talkshows, Millionen von Tweeds und anderen digitalen Mitsprechern eine nie dagewesene Kakophonie entsteht, erschwert das Regieren. Fast jeder schwingt sich auf zum  Besserwisser. In nur wenigen Monaten hat sich die Welt verändert. Das sorgsam ausgearbeitete Koalitionspapier ist dadurch zerschossen und fast unbrauchbar geworden. Und trotzdem sind viele Zielsetzungen immer noch zu erkennen und werden sogar erreicht. Beispiel: Die Erhöhung des  Mindestlohns auf zwölf Euro. Als die festgelegt wurde, war freilich von einer nie dagewesenen Inflation noch keine Rede. Ein Krieg, mit dem beim Start der Ampel nicht zu rechnen war, eine Energiekrise, wie sie noch nie einer erlebt hat – und dann auch noch der dritte Corona-Winter. Vieles zeigt, dass wir uns haben übertölpeln lassen und Putins Reich eine von langer Hand vorbereitete Strategie verfolgt. Die Notlage offenbart gravierende Versäumnisse. Die so ehrgeizigen Klimaziele rücken in weite Ferne, in der Energie-Not drohen soziale Verwerfungen, am Ende steht die Erkenntnis, was mit Zeitenwende gemeint ist. Reiner Trabold

 

 

 

Putins Molche

 

Drohnen, Kampftaucher, Minen, U-Boot, Torpedos? Was muss nicht alles dafür herhalten, die Sprengungen der beiden Ostsee-Pipelines zu erklären. Und dass immer noch gezweifelt wird, wer hinter der Sabotage steckt. Nur einer hatte tatsächlich Zugang zu den Gazprom-Röhren: Er sitzt im Kreml und ist einer der größten Verbrecher seit Hitler. Und wie hat er das gemacht? Es gibt für Pipelines Geräte, die die Rohre von innen warten. Viele erinnern sich an den James-Bond-Thriller „Die Welt ist nicht genug“, in dem der Agent mit der Lizenz zum Töten auf einem Schlitten durch die Röhre rast. Diese Geräte sind keine Erfindung der Filmemacher, die gibt es wirklich. „Pig“ heißen sie nicht nur im Film, deutsch ist „Molch“ der Fachausdruck. Mit einem solchen Molch lässt sich jede Sprengladung im Rohr genau dorthin transportieren, wo sie hochgehen soll. Vor Bornholm, 150 Kilometer vor der deutschen Ostseeküste. Die Zerstörung der Versorgungsstränge hatte einen Grund: Zul unterstreichen, wer am längeren Hebel sitzt - und dass für den Westen aus Russland für alle Zeiten nichts mehr zu erwarten ist. Den Hahn abzudrehen, war Putin nicht genug. Mal sehen, welche Überraschungen er noch auf Lager hat.  Reiner Trabold

 

 

 

 

 

06. März 2022

 

Russisches „Verteidigungsministerium“?

 

Wenn ich vom „russischen Verteidigungsministerium“ höre, könnte ich wütend aus der Haut fahren. Putin führt Krieg, auch wenn er sich diese Lesart verbietet, als „Fake“ neuerdings sogar hart bestrafen lässt. Was ist es denn, wenn ein Land ein anderes überfällt, schießt, Bomben wirft, Panzer rollen und Raketen einschlagen lässt, wenn eine unschuldige Zivilbevölkerung ihr Heil in der Flucht sucht. Dieser Angriff auf einen Nachbarn und angebliche „Nazis“ hat mit Verteidigung nichts zu tun. Der russische Präsident und Diktator Putin zusammen mit dem belarussischen Tyrannen-Kompagnon Lukaschenko haben dabei einen Brand entfacht, der sich leicht ausbreiten und die ganze Welt in Brand geraten lassen kann. Wenn, ja wenn sich das westliche Verteidigungsbündnis NATO dazu verführen lässt, aktiv in diesen Krieg einzugreifen. Putin hat für sich schon mal festgestellt, dass die scharfen Wirtschaftssanktionen des Westens einer Kriegserklärung gleichkämen. Das hörte sich noch nicht so an, als habe der Treffer wirklich gesessen. Die Sichtweise würde sich wohl erst ändern, wenn der Westen Gas-, Öl- und Kohlelieferungen stoppten und dem durchgeknallten Russen den Geldhahn abdrehten, aus dem er sein Kriegsministerium und einen mörderischen Krieg finanziert. Mit den schmerzlichen Folgen für die von der russischen Energie Abhängigen. Reiner Trabold