17. März 2021

 

 

Wirrwarr um Corona

 

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat keinen einfachen Job. Vor einem Jahr ging er mit seinem Pandemie-Management als Stern am Himmel der Regierung Merkel auf.  Aber wie das mit Stars allzu oft ist: Sie funkeln oft nur eine Zeitlang. Dann schieben sich Wolken vors Firmament. Unvergessen ist Spahns Feststellung, dass Wissenschaft und damit Politik auch fehleinschätzen können, dass daraus zu lernen ist. Wie wahr. Fehler sind in einem Jahr Corona reichlich gemacht worden. Am schlimmsten aber empfinde ich die Tatsache, dass die Zahl derer wächst, die sich nicht an Regeln halten wollen, schon wieder nach Malle düsen und ihre Grundrechte wegen der Seuche zu Unrecht beschnitten sehen. Übersehen wird in diesem Konzert der Fehltöne, dass Spahn Entscheidungen zwar verkündet, sie aber nicht allein trifft. Es ist auch nicht die Kanzlerin, verantwortlich sind die Ministerpräsidenten. Sie haben das Sagen. Und mancher meint, dass der Souverän, die gewählten Landesparlament, auch noch mit entscheiden sollten über Lockdown oder Lockerup. Unvorstellbar, wenn sich noch nicht einmal die Regierungschefs der 16 Bundesländer auf eine gemeinsame Strategie verständigen können. Falsch: Sie verständigen sich, aber sie handeln nicht nach dem, was vereinbart ist, weil in jedem Bundesland verschiedene Fallzahlen registriert werden. Und dann mischen ja auch noch die Gebietskörperschaften je nach Inzidenz mit. Die einen schicken die Schüler in die Schule andere sind vorsichtig genug, sie weiter zu Hause zu unterrichten. Es grenzt an ein Wunder, dass innerhalb nur eines Jahres mehrere Impfstoffe entwickelt und zugelassen wurden, die der Pandemie Einhalt gebieten können. Allerdings schreit die ganze Welt danach und hält den Impf-Arm hin. Die Europäer haben sich unter deutscher Ratspräsidentschaft verständigt, dass alle EU-Mitglieder mit Impfstoff versorgt werden. Doch es wurde nur gefeilscht und bestellt, nicht gekauft. Das haben andere schlauer gemacht. Für diesen Fehler trägt auch Minister Spahn Mitverantwortung, vor allem aber die EU-Kommission unter Vorsitz von Ursula von der Leyen (CDU). Der Schlamassel mit dem Impfstoff AstraZeneca hat auch nicht allein Spahn zu verantworten. Hätte er sich nach der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, das Serum vorerst auf Eis zu legen, für ein Weiterspritzen entschieden, wäre er wahrscheinlich erst zerfleischt, dann gesteinigt worden. Mein Fazit: Im überbürokratisierten Deutschland mischen zu viele mit. Und die Hausärzte, die Jahr für Jahr gegen die Influenza-Viren spritzen, werden viel zu spät in die Impfstrategie einbezogen – weil es zu wenig Dosen gibt. Folge ist ein Riesenwirrwarr, das die Glaubwürdigkeit derer untergräbt, die ihr Bestes geben. Die Corona-Rechnung wird freilich erst präsentiert, wenn im Herbst längst noch nicht alle Willigen geimpft sind, aber der neue Bundestag samt Kanzler*in gewählt ist. Reiner Trabold

 

 

 

12. März 2021

 

Zu behäbig

 

Großbritannien exportiert derzeit nur Mutante B.1.1.7 in die EU, aber offenbar keinen Impfstoff. Dabei wird ein Großteil der Dosen im Belgien produziert, aber ins Königreich geliefert. Auch die USA führen nichts aus. „America first“ ist offensichtlich bei Corona auch der Grundsatz von Trumps Nachfolger Joe Biden. Folge: Auf der Insel und in den Staaten wird geimpft, was das Zeug hält, in Europa heißt es Geduld. Deshalb fällt die Kurve der Neuansteckungen in Deutschland nicht, sondern steigt zur nächsten Welle an. Begünstigt dadurch, dass trotz aller Mahnungen und Warnungen vor der hochansteckenden neuen Variante aus dem Lock-down ein Locker-up geworden ist. Modellrechnungen gehen davon aus, dass die Inzidenz, also die Neuinfektionen pro 100000 Einwohner, von derzeit 70 wieder auf 100 steigt. Der Impfstoff kommt zu spät, die Lockerung zu früh. Wieder ein gravierender Fehler im Management der Pandemie. Hat schon die EU-Bürokratie bei der Bestellung der Vakzine versagt, so bremsen Gründlichkeit und Behäbigkeit der deutschen Verwaltungsapparate – kaum zu begreifen – im Kampf um Leben und Tod. Mein Eindruck ist, dass dieser Kampf gegen Covid-19 nicht an der Regierungsspitze, sondern vor allem in den Ämtern verloren wird. Beispiel: Da zeigt eine Dr. Lisa Federle in Tübingen schon seit Herbst, wie mit Hilfe von Tests die Erkrankten identifiziert und isoliert werden können. Nicht nur, dass sie von der Landesregierung in Stuttgart keine Unterstützung erhält, ihre erfolgreiche Initiative findet auch kaum Nachahmer. Stattdessen verramscht Aldi Schnelltests; blinder Aktionismus. Beispiel: Während sich Israelis in Bars impfen lassen, rangeln deutsche Behörden darum, ab wann diejenigen zur Spritze greifen können, die schon immer die Impfhoheit hatten: Haus-, Fach- und Betriebsärzte. Ab Mitte April soll es so weit sein. Problem aber bleibt, dass es auch dann noch nicht genügend Stoff vorhanden sein wird, um in die Breite zu impfen – und damit dem Virus und seinen Verwandten endlich Einhalt zu gebieten. von Reiner Trabold