31. Januar 2021
Ja, es nervt
Das Virus macht uns allen zu schaffen. Das Leben ist empfindlich durcheinandergeraten. Es knistert in der Familie, und es nutzt nichts mehr, sich zusammenzureißen – oder sich dazu zu ermahnen. Den jungen Leuten läuft die wertvolle Zeit davon, Zeit, die sie gern in Gesellschaft der Freunde verbrächte. Den Alten geht es keinesfalls anders. Doch während die Jugend noch viel vor sich hat, schindet der Generation der Betagten der Vorrat an Restzeit in Untätigkeit und im Ausharren auf Impfdosen. Motivationsversuche geraten zum Durchhalte-Appell. Machen wir uns nichts vor: Es wird von Tag zu Tag schwieriger, bei der Stange zu bleiben. Zumal dann, wenn Abläufe ohnehin schwer zu strukturieren sind. Wie bei einem Rentier wie mir. Es könnte mir egal sein, wie sich der Tag gestaltet beziehungsweise wie ich ihn gestalte. Ich muss weder zu einem Arbeitsplatz noch ins Homeoffice. Aber selbst für mich Ruheständler ist die Zwangspause eine Zumutung. FFP2 hat mir jetzt die Regierung per Gutschein beschert. Dabei treffe ich mich fast ausschließlich mit mir selbst. Was also soll ich mit Atemschutz, wenn ich nur noch die Luft anhalte, dass dieser Welle nicht eine weitere folgt und ich weggeschlossen bleibe. Was helfen mir Masken, wenn ich in Quarantäne gefangen bin, daheim festsitze? Nun, ich könnte versuchen, meinen Impftermin zu vereinbaren. Ich schreibe bewusst, ich könnte. Ein deprimierender, aufreibender Zeitvertreib für einen Risikokandidaten. Auch meine Arzttermine sind auf ein Minimum begrenzt. Was soll ich in Praxen oder bei Apothekern, wo mir ungünstigen Fall Covid-19 oder einer seiner Verwandten begegnet? Was bleibt mir? Ich habe mich in meine Buchstabenwelt zurückgezogen, höre Musik, lese viel, schreibe zu wenig, rede mir ab und an im Selbstgespräch die Aerosole vom Leib, spreche Riesling oder Roten zu – und gedulde mich. Aber es nervt. von Reiner Trabold
16. Januar 2021
Laschets Chance
Die Chance „das Ruder rumzureißen“ sei vertan worden, reagierte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel kritisch auf die Wahl von Armin Laschet zum neuen CDU-Chef. Mag sein. Aber warum hätte es rumgerissen werden sollen? 521 der 1001 Delegierten stimmten bei der digitalen Wahl für den NRW-Regierungschef, 466 für Friedrich Merz. Was Weidel meint: Laschet steht für ein Weiterso nach Angela Merkel. Unter der Kanzlerin war die Union soweit in die Mitte gerückt, dass sie die Sozialdemokratie aufsaugte und am rechten Rand ein Loch für Alternative aufriss. Dass Deutschland einen rechten und noch viel weiter rechten Rand besitzt, hätte sich keiner gedacht, schon gar nicht gewünscht. Die AfD war schon fast Geschichte, als 2015 die Flüchtlingswelle nach Deutschland schwappt, Merkel der Vorwurf traf, sie habe die Asylsuchenden („Wir schaffen das“) gerufen. Mit dem Zustrom wurde die AfD zum braunen Sammelbecken einer „Deutschland-den-Deutschen“-Bewegung. Merz steht für die Nostalgiker in der CDU. Die Energiewende, der Fall der Wehrpflicht, eine Gleichstellung der Geschlechter und Klimaschutz, letztendlich auch der entschlossene Kampf gegen die Pandemie werden rechts der Mitte als linke Symptome gegeißelt. Das geht ganz rechts bis zum Corona-Leugnen. Es gibt viele, die den gern verschmitzt schmunzelnden Laschet als Weichei disqualifizieren und Merz als starken Mann überbewerten. Der eigentliche Muskelprotz der Union freilich wartet unter weißblauem Himmel darauf, Angela Merkel zu beerben. Als Chef der nächsten Regierung. Dann wird sich zeigen, wie Markus Söder das Ruder rumreißt und wohin er das Boot steuert. Reiner Trabold
10. Januar 2021
Q wie Quark
Was lehrt uns der Trumpismus? Was sagt es uns, wenn eine der ältesten und größten Demokratien dermaßen in Gefahr gerät? Wenn Capitol und kapitulieren ähnlich klingt? Freiheit fällt nicht vom Himmel. Umso liberaler ein Staatsgefüge, desto anfälliger scheint es, Opfer polarisierender Demagogen zu werden. Denn wo Meinungen kaum Grenzen gesetzt sind, drohen Menschen in eine falsche Wirklichkeit abzugleiten. Es gilt also wachsam zu sein. Wem können wir überhaupt vertrauen? Sicher nicht denen, die sich ein großes „Q“ auf die Stirn tätowiert haben, den Verschwörungsmystikern und Fantasten? Q steht für QAnon, eine Bewegung, die immer mehr Anhänger findet. Die Vereinigung will von einem elitären Satanisten-Ring aus Superreichen, Linken und Prominenten wissen, der Kinder gefangen hält, foltert und ermordet, um aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge zu gewinnen. Unfassbar, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft solche Spinnereien ein Netz bilden können und Menschen gibt, die sich darin verfangen. Geradezu gefährlich ist, dass Q sich in Chatgruppen schleußt und auf diesem Weg Hunderttausende von Teenies erreicht, die sich inzwischen nahezu ausschließlich über digitale Plattformen informieren. Journalistische Quellen gelten vielen als Q wie Quark. Junge Leute schauen lieber ins Smartphone als in die „Lügenpresse“, sind oft noch leichtgläubiger und besser manipulierbar als Erwachsene. Neu ist das nicht. Hunderttausende wurden von der Nazi-Propaganda in den Volksturm getrieben, Kinder auf der ganzen Welt lassen sich für Milizen rekrutieren. Und was hat das alles mit Trump und der Freiheitsstatue zu tun? Das System Trump hat die amerikanische Gesellschaft mit Hass und Hetze auseinander-getwittert und das Land nicht groß gemacht, sondern an den Rand eines Bürgerkriegs getrieben – und mit Lügengeschichten mehr als 70 Millionen hinter sich gebracht. Es wird höchste Zeit, dass dieser Scharlatan die Klappe hält. Reiner Trabold
7. Januar 2021
Sturm aufs Capitol
Leider passt das, was sich in Washington zuträgt, ins Bild des Präsidenten, der erst gar nicht ins Amt gedurft hätte. Aber er wurde ja gewählt – wenn auch nicht mit der Mehrheit der Stimmen. Hätte sich Barack Obama 2016 mit dem Argument gegen die Wahlniederlage Hillary Clintons gewehrt, wäre es nachvollziehbar gewesen. Doch was Donald Trump seit November veranstaltet, hat mit Demokratie nichts zu tun. Es ist unwürdig. Das wurde oft genug betont. Dass ein ewig twitternder US-Präsident aus dem Weißen Haus heraus zum offenen Widerstand seiner zum Teil militärisch aufgerüsteten Anhängerschaft aufruft und sich von dem, was er damit provoziert, mitnichten distanziert, ist ohne Beispiel. In seinen letzten Amtstagen treibt Trump den Keil, den er über vier Jahre lang gespitzt hat, mit all seiner noch immer vorhandenen Macht mitten ins Herz der amerikanischen Demokratie. Die Welt hat den Sturm aufs Capitol mit offenem Mund verfolgt und sich gefragt, ob das noch die Weltmacht mit der Freiheitsstatue ist. Ich frage mich nach den Gründen für die Eskalation und sehe sie nicht nur bei einem Irren, der sich hartnäckig weigert, seine Wahlniederlage einzugestehen. Der Populismus, der sich in vielen Ecken der Erde wie ein Geflecht breitmacht, ist Produkt einer veränderten Kommunikation. Immer mehr Menschen sind lassen sich in unzensierten Hasstiraden aus, sind digital und smart fast immer und überall erreich- und beeinflussbarer denn je. Das gibt Demagogen wie Lukaschenko (Belarus), Salvini oder Berlusconi (Italien), Bolsonaro (Brasilien) oder Kaczyński (Polen), aber auch Johnson (England), Trump und einigen mehr die Möglichkeit, die Massen aufzuwiegeln. Lügenbolde weisen sich als Hüter der einzig gültigen Wahrheit aus. Wer sich von öffentlich-rechtlichen Medien informieren lasse, habe schon verloren, ist einer von vielen Unwahrheiten einer rechtsverdrehten außerparlamentarischen Opposition, die inzwischen als AfD in fast allen Parlamenten vertreten ist. Die sich mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ gegen das Unrechtssystem der SED stellten und die DDR zu Fall brachten, werden 30 Jahre später mit der gleichen Parole von „Querdenkern“, Pegida, Reichsbürgern und anderen Spinnern verhöhnt. Wo, bitteschön, ist die Escape-Taste? Reiner Trabold
4. Januar 2021
Fehlstart
In Windeseile ist ein Impfstoff gegen die Seuche entwickelt und für einsetzbar erachtet worden. Unter dem Eindruck ständig steigender Infektions- und dramatischer Todesfälle wurden mehr als 400 Impfzentren aus dem Boden gestampft, Teams rekrutiert, eine ethischen Vorgaben entsprechende Liste derer erstellt, die als erste in den Genuss kommen sollten. Dass in anderen Ländern der Erde früher zur Kanüle griffen wurde als dort, wo das Gegenmittel gegen Covis-19 herkommt, wurde immer mit der Sorgfalt begründet, die vor Schnelligkeit stehe. Noch an Weihnachten ging’s los, wurden erste Spritzen aufgezogen, ist das von Biontech/Fizer produzierte Wundermittel in einigen werbewirksamen Inszenierungen den ältesten der Alten injiziert worden. Und jetzt? Jetzt geschieht das, was wir uns keinesfalls hätten leisten dürfen: Verwirrung, Beschuldigungen, Chaos bei der Beschaffung der Impfdosen, auf die sich die Länder eingerichtet haben. Wieder einmal kommt uns das gern gelobte föderale System in die Quere. Das hat schon bei den Schulen nicht geklappt. Jetzt klemmt es bei der Organisation des Massenimpfens. Wer ist wann dran? Manche Länder schreiben ihre Kandidaten an, andere informieren per Internet, der Rest hat noch gar keine Termine. Und der eifrige Gesundheitsminister Spahn muss erklären, warum er offenbar so wenig Stoff bestellt hat, dass der verheißungsvolle Prozess gleich am Anfang ins Stocken gerät. Nennen wir’s ruhig Fehlstart. Eine der Lehren aus dem Corona-Jahr muss sein, dass es im Kampf um Leben und Tod nur einer den Hut aufhat. So jedenfalls haben wir nicht nur gegen Pandemien in Zukunft keine Chance.
Reiner Trabold