Interview:
Dr. Patrick Staub will die Bergsträßer Winzer eG näher an den Kunden bringen und
die Vielfalt im Angebot neu strukturieren
Kurz bevor der 2019er die Fässer füllt, blicken wir in einem Interview zurück auf den Jahrgang 18 und die ersten Monate der Bergsträßer Winzer mit ihrem neuen Geschäftsführer, dem 35 Jahre alten Dr. Patrick Staub. Er hat Otto Guthier abgelöst, der nach 26 Jahren an der Spitze des Unternehmens in den Ruhestand ging. Staub war zwei Jahre lang sein Stellvertreter, ist also kein neues Gesicht im Viniversum. „Bei uns ist ein Wechsel in der Geschäftsführung etwas ganz Besonderes. Er war bislang auch immer gleichbedeutend mit dem Ende einer Ära und dem Beginn einer neuen", sagte Reinhard Antes, der Vorsitzende der Winzer eG beim Stabwechsel. Tatsächlich gab es seit 1959, als die Winzergenossenschaften Starkenburg und Bensheim-Auerbach fusionierten, erst drei Wechsel in der Geschäftsleitung. Guthier hatte im Januar 1993 von Ewald Petermann übernommen, der die Genossenschaft zuvor 37 Jahre lang geleitet hatte. Der promovierte Oenologe und Agrarökonom Patrick Staub war zuvor Berater beim Genossenschaftsverband Baden-Württemberg und hat in dieser Zeit verschiedene Restrukturierungsprozesse betreut. Er ist ledig und wohnt am Hemsberg in Bensheim.
Otto Guthier sprach bei seiner Verabschiedung von „guten Startbedingungen“ für seinen Nachfolger. Gemeint war sicher der 2018er, eine Wuchtbrumme.
Patrick Straub: Das stimmt. Der Jahrgang mit kerngesundem Lesegut versüßt mir den Start und bietet ein Füllhorn außerordentlicher Weiß- und Rotweine mit viel Potential.
Was gibt es zum neuen Jahrgang zu sagen?
Diesen Sommer hatten wir gottseidank mehr Niederschlag, als im Jahr zuvor. Das heißt, wir hatten etwas weniger mit der Trockenheit zu kämpfen. Die extreme Hitze und Sonneneinstrahlung hat den Trauben zu schaffen gemacht: Sonnenbrand an den Trauben war ein weit verbreitetes Phänomen. Trotzdem rechnen wir mit einem guten Jahrgang, wenn im Schlussspurt nicht noch extreme Witterung mit anhaltendem Regen kommt. Eine seriöse Bilanz lässt sich erst ziehen, wenn die Trauben im Keller sind.
Wie waren die ersten Monate im Amt?
Ich bin seit zwei Jahren hier tätig und habe als Stellvertreter von Otto Guthier vieles bereits gekannt. Doch der Wechsel vom Sachbearbeiter zum Geschäftsführer brachte extrem viel Neues abseits der Routine. Ich kann in der neuen Position mehr gestalten – natürlich immer in enger Abstimmung mit Vorstand und Aufsichtsrat.
Welche Ziele haben Sie, wo geht es hin?
Wir setzen auf eine starke Direktvermarktung. Weinaffine Kunden wollen wir auch kompetent bedienen, mit neuen Produkten dem Wandel der Zeit gerecht werden. Für den Einzelhandel brauchen wir kurzfristige, schnelldrehende Produkte. Hauptziel ist eine stärkere Verzahnung von Weinbau, Keller und Vertrieb. Wir müssen eine Brücke zwischen Winzer und Kunde bauen, unsere Produktprofile schärfen. Unsere Produkte sollen Spaß machen.
Ist Otto Guthier noch an Ihrer Seite?
Er ist nicht mehr im Betrieb, aber wir tauschen uns aus, und als Winzer ist er ja auch Mitglied bei uns. Ich habe einen Ausfall im Außendienst und werde ihn fragen, ob er die Lücke füllen kann. Da er auch Vorsitzender des Weinbauverbands ist, haben wir natürlich auch auf dieser Schiene gute Kontakte.
Welche Rolle spielt der Vorsitzende Reinhard Antes für Ihre Arbeit?
Die strategische Zielrichtung ist definitiv Sache des Vorstandsvorsitzenden, und er informiert die Mitglieder. Ich bin mehr fürs operative Tagesgeschäft verantwortlich. Die Zusammenarbeit von Vorstand, Aufsichtsrat und Geschäftsleitung ist eng und sehr gut. Meine Erfahrung ist, dass in einer Genossenschaft viele Einzelerfahrungen zusammenfließen, wir uns gegenseitig befruchten. Ideen durchlaufen einen Evolutions- und Innovationsprozess und werden dabei immer besser. Gremienarbeit ist eine positive Erfahrung. Ich nenne das Kultur des bewussten Dissenses. Das klingt zwar abstrakt, ist aber sehr konstruktiv und bringt uns zu besseren Entscheidungen.
Wie viele Mitglieder hat denn die Genossenschaft?
Bei weit über 300 Mitgliedern sind 180 aktiv. Viele sind Nebenerwerbswinzer mit kleineren Parzellen. Nur ein kleiner Anteil der Betriebe wirtschaftet im Haupterwerb. Für seine Bedeutung ist die Größe eines Betriebs aber egal. Wir wollen sie alle mitnehmen, ihre Funktion als wichtige Multiplikatoren nutzen. Ich sehe Winzer als Garanten der Weinkultur. Ihre Verpflichtung als Landschaftsgärtner bewerte ich hoch.
Wein als ein soziales, emotionales Produkt?
Definitiv. Wein begleitet kulturelle und soziale Lebensereignisse. Er soll Freude bereiten und beschwingt machen, sollte nicht unter dem Diktat von Konventionen sein. Das heißt zum Beispiel, dass es zum Fisch auch ein Rotwein sein darf, wenn es mir schmeckt. Dogmatische Empfehlungen gegenüber dem Kunden halte ich für falsch. Das subjektive Geschmackempfinden ist entscheidend. Jeder sollte Spaß an dem Wein haben, der ihm oder ihr gefällt.
Welche Rolle spielt der Weinbauverband mit Otto Guthier an der Spitze?
Eine wichtige, aber ganz andere Rolle wie bei Verbänden in anderen Weinbaugebieten, die ich kenne. Der Zusammenschluss der Winzer gestaltet das Miteinander, organisiert wichtige Veranstaltungen wie die Weinlagenwanderung am 1.Mai.
Was schenken Sie sich zu Hause ein?
Sehr gern Sekt. Ich mag es einfach, wenn’s blubbert und perlt im Glas. Und ich bevorzuge trocken, Staub-trocken.
Die Frauen von VINAS sind ein starker Partner innerhalb der Genossenschaft. Wieviel Einfluss haben Sie auf die weibliche Produktlinie?
Quasi null. Wir schätzen die Initiative und Leidenschaft der jungen Winzerinnen und lassen sie machen, denn sie sind am Puls der Zeit. Sie sollen ihren kreativen Freiraum ausschöpfen. Ihr Konzept ist durchdacht und preisgekrönt. Die jungen Frauen haben bei der DLG und jetzt bei Raiffeisen Nachwuchspreise abgeräumt. Und das alles ehrenamtlich und ohne Werbeagentur. Chapeau.
Der Trockensommer 2018 hat gezeigt, dass es beim Wasser für den Wein schnell eng werden kann. Gibt es Überlegungen gegen Versorgungsengpässe?
Überlegungen ja. Aber eine Tröpfchenbewässerung für alle Flächen ist von heute auf morgen nicht umsetzbar. Unsere Winzer haben im vergangenen Jahr provisorisch in Weinbergen mit sandigen Böden wie beispielsweise am Höllberg bewässert. In diesem Sommer sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.
Wie reagiert die WG auf die Erderwärmung?
Darüber machen wir uns Gedanken. Reinhard Antes ist als Rebveredler bei der Beobachtung der klimatischen Veränderung am Ball. Wir können an der Bergstraße mittlerweile fast alle Sorten anbauen. In den vergangenen Jahren haben wir einige südländische Sorten, wie Merlot und Cabernet dazubekommen. Diese Sorten werden heute in den ehemaligen Toplagen für Riesling gepflanzt. Riesling wiederum wandert tendenziell in höhere Lagen wie beispielsweise in Erbach.
Apropos neue Sorten. Was ist mit Piwis?
Pilzwiderstandsfähige Sorten spielen eine immer wichtigere Rolle. Dafür müssen aber die oft unbekannten Namen beim Kunden ankommen. Kreationen aus bereits bekannt klingenden Namen haben es dabei leichter. Souvignier Gris hört sich beispielsweise für viele bekannt an, auch wenn der Wein erst seit kürzerer Zeit bei uns im Programm ist. Insgesamt besitzen die Sorten gute Eigenschaften.
Was ist der Vorteil dieser Sorten?
Wenn Piwi-Reben den Einsatz von Funghiziten im Weinberg reduzieren, spricht alles für sie. Nicht nur im Bio, auch im konventionellen Weinbau. Sie machen Weinbau nachhaltiger, umweltfreundlicher. Piwis brauchen weniger Pflanzenschutz, dadurch müssen die Winzer weniger häufig schwere Maschinen einsetzen, was die CO2-Bilanz des Weinbaus verbessert. Wir schreiten stetig voran und erreichen ein nachhaltigeres Level im Weinbau.
Seit Jahren reifen Jahr für Jahr Jahrhundertweine. Warum bereitet der Klimawandelt den Winzern trotzdem Sorgen?
Mehr Sonne heißt mehr Süße, mehr Süße mehr Alkohol. Das kann der Harmonie schaden. Weine früher zu lesen, macht diese tendenziell sauer. Das ist allenfalls für Sektgrundweine vorteilhaft. Wir werden künftig mehr Weine cuvéetieren müssen, um das auszugleichen und die Harmonie zu sichern. Das ist in Frankreich und Italien längst Tradition.
Die Winzer eG hat sich ihre Vinothek etwas kosten lassen. Wie zufrieden sind Sie mit der Kundenfrequenz?
Definitiv zufrieden. Wir haben bei der Kundenfrequent eine starke Zuwachsrate und mit dem Viniversum neue Kundenkreise erschlossen, Leute, die sich mehr mit dem Produkt auseinandersetzen. Von denen wollen wir mehr.
Wie steht es mit Events?
Mit jährlich 150 Veranstaltungen von der Weinprobe bis zum großen Fest wie das Wein- und Sektfest vom 23. bis 25. August 2019. hier bei uns im Viniversum sind wir personell schon an der Grenze. Ich stelle mir zusätzlich zwei- dreimal im Sommer Afterwork-Angebote vor. Dabei geht es ganz unkompliziert um Geselligkeit und die soziale Komponente. Der von den Jungwinzerinnen VINAS gestaltete Abend auf unserem Weinfest hier im Viniversum war für Jung und Alt außerordentlich positiv. Die Band war spitze, da steppte der Bär und alle waren weinselig. Diese Form des Weinerlebnisses das ist unsere Zukunft.
Die Fragen stellte Weinschmecker Reiner Trabold, Fotos von Regina Trabold
fotos: copyright regina trabold