Ich ringe nach Fassung

 

Es gibt Momente, in denen verschlägt es mir die Sprache. Jetzt ist ein solcher. Ich ringe nicht nur nach Worten, sondern auch nach Fassung. Nicht weil sich meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten, sondern weil sie noch übertroffen wurden und ich mich frage, in welch einem Land ich lebe. Das Bürgertum emanzipiert, artikuliert sich in einem Stoßseufzer und übergibt sich in einer übelriechenden, braunen Soße. Das macht mich im höchsten Maße betroffen. Das Ausmaß des Erdbebens, das unsere Republik erschüttert, ist jetzt noch gar nicht zu überschauen. Die Große Koalition hat die Quittung dafür erhalten, die großen Themen und Probleme trotz großer Mehrheit nicht angepackt zu haben. Ob es der Regierung Merkel mit schmerzhaften Blessuren gelingen wird, die Aufgaben von der AfD „gejagt“ und mit einer desillusionierten SPD in der Opposition zu lösen und mit hauchdünner Mehrheit in einer Jamaika-Koalition mit der FDP und den Grünen mit dünner Mehrheit Stabilität zu gewährleisten, wird schwer. Aber einfach war Politik ja noch nie. So schwer aber auch noch nicht.

 

 Nach der Wahl

Kurze Schockstarre nach der ersten Prognose. Sie wird wohl weitgehend stimmen. Es gibt also tatsächlich eine Wechselstimmung im Wahlvolk. Allerdings nicht bei den großen Parteien, sondern bei den kleinen und vor allem am rechten Rand. Das ist Ausdruck einer großen Unzufriedenheit mit dem Kurs der Großen Koalition. Nicht ganz überraschend. Dass aber eine Partei, die außer Hetze gegen Ausländer und Zerstrittenheit über den eigenen Kurs nicht viel zu bieten hat, in Zukunft im Bundestag Platz nehmen darf, ist beschämend und bitter. Die Tektonik der Politik ist nicht zuletzt wegen der in Deutschland Asyl suchenden Flüchtlingen gewaltig ins Rutschen geraten. Für die SPD eine Katastrophe und der Preis für die Große Koalition. Der Einsatz für die sozial Schwachen, Schwulen und Opfer einer völlig verfehlten Wohnungsbaupolitik war aller Ehren wert. Doch die gehen entweder nicht wählen oder fallen in den braunen Sammeltopf der Frustrierten und Enttäuschten. Dort finden sie sich mit den vielen Unzufriedenen aus der Union. Nun zu den Profiteuren der GroKo, der eindrucksvoll wiedererstarkten FDP und den überraschenden Grünen. Jamaika lässt grüßen. So viel, nachdem sich die Starre noch vor der ersten Hochrechnung langsam löst.