31. Januar 2018

 

Wirtschaftsflaute

 

Das Kneipensterben auf dem Land ist keine neue Erscheinung. Bei der Ursachenforschung tut sich das Gastgewerbe schwer. Zu wenig Bereitschaft zur Modernisierung und effektivere Betriebsabläufe, fordert der Hotel- und Gaststättenverband. Das klingt so, als seien Gastwirte unterbelichtet und verstünden zu wenig vom Geschäft. Die Gründe für die Wirtschaftsflaute sind andere. Beispielsweise erschweren die vielen Standards der Branche das Leben. Wer heute eine Kneipe aufmachen will, muss für alle möglichen Auflagen (vom barrierefreien Zugang bis zum Fettabscheider) erst einmal tüchtig in die Tasche greifen, um überhaupt eine Konzession zu erhalten. Dazu kommt, dass ausgezeichnet ausgebildete Gastonomen in große Ketten und in die Systemgastronomie abwandern. Dort sind ihnen geregelte Arbeitszeiten und sichere Einkünfte im Angestelltenverhältnis weitgehend sicher. Der Spruch, wer nichts wird, wird Wirt stimmt allzu häufig. Wirtshäuser werden geschlossen, weil der Nachwuchs fehlt. Oder weil Menschen Wirt spielen, die vom schnellen Geld träumen und nicht ahnen, auf welchen Knochenjob sie sich eingelassen haben. Viele Wirtsleute raten ihren Kindern vom Weg in die gastronomische Selbstständigkeit ab, weil sie ihnen ein Leben hinterm Tresen ersparen wollen. Nichts gegen Schnell-Imbisse, Pizzerien oder Döner-Lokale. Sie haben einen Markt – und meist Personal, das sich unter Mindestlohn ausbeuten lässt. Der Zoll kommt mit seinen Kontrollen nicht hinterher. Nein, von zum Teil katastrophalen Arbeitsverhältnissen, von mieser Bezahlung, unwirtlichen Arbeitszeiten und Selbstausbeutung ist von Seiten des Gaststättenverbands selten die Rede. Dabei gehört zu einer ehrlichen Analyse auch die Frage, ob der Verband modern und effektiv genug aufgestellt, in seiner Struktur den Aufgaben gewachsen ist. Wenn er Businesspläne von Wirten fordert, sollte er einen eigenen vorlegen. Die Gesellschaft und damit das Geschäftsfeld der Gastronomie hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Hat die Dehoga darauf reagiert? Noch eins: Wenn das Wirtshaus auf dem Land tatsächlich den sozialen Stellenwert hat, der ihm nachgesagt wird, wären auch Konzepte und Strategien der Politik an der Zeit. Schließlich hat sie ja das Rauchverbot erlassen, dem Alkoholgenuss engere Grenzen gesetzt, die Auflagen für Hygiene und Arbeitsverhältnisse drastisch erhöht. Alles gut für den Gast. Aber für den Wirt? Reiner Trabold

 

 

 

 

31. Januar 2018

 

Zu viel Kleinklein

 

Es war zu erwarten. Die Großkoalitionäre verheddern sich im Klein-Klein der Kompromisse. Kompromisse zudem, die jeder für sich schöndeuten darf. Die SPD zieht schon wieder den Kürzeren und versucht das auch noch als Erfolg zu verkaufen. Arbeitet sich ab auf Feldern der Ehre und Menschlichkeit, auf denen das Große schwer sichtbar wird. Was bringt es den Deutschen, wenn Flüchtlingsfamilien zusammenkommen dürfen – was ja eigentlich selbstverständlich sein sollte. Aber es wird gefeilscht, vor allem weil die CSU sich davon einen Erfolg gegen die verspricht, die noch weiter rechts stehen. Es frustriert die Politik der Trippelschritte in einer Zeit, in der große Lösungen gebraucht werden. Da tut sich wenig bis nichts. Ein wenig hier, ein bisschen da bringt die Gesellschaft im Aufbruch in die Zukunft aber nicht weiter. Die Menschen erkennen die Notwendigkeit des Wandels, aber sie werden damit alleingelassen. Sie sehen Europa als Hemmschuh und nicht als Friedensmodell. Sie sehen die Digitalisierung als Gefahr und nicht als Fortschritt. Sie schaffen und tun, zahlen ihre Steuern, um zu erfahren, wie Konzerne ihre Einkünfte am Fiskus vorbeimanövrieren. Sie lassen sich von Autobauern bescheißen, die den Verbrennungsmotor sauber tricksen. Sie stehen im Stau, weil die Konjunktur die Überholspur blockiert.  Sie engagieren sich im Ehrenamt, doch Boni stauben Banker ab, obwohl deren Bank Miese macht.  Es bleibt dabei: Die Welt ist ungerecht. Und die Politik verspielt den letzten Kredit. Es war zu erwarten. Reiner Trabold

 

 

 

19. Januar 2018

 

Zum Tod des Königs der Köche

 

Die Rote Bibel des Papstes hat seit 40 Jahren seinen Platz in meinem Bücherregal. „Die Neue Küche“ steht auf dem Buchrücken. „Das Kochkunstbuch vom König der Köche“ von Paul Bocuse war mir ein Heiligtum. Dabei habe ich Anfang der 80er nur ein Gericht daraus versucht zu kochen. Was Bocuse als „La Cuisine du marché“ beschrieb, dass all seine Rezepte nur gelingen können, wenn „die Hausfrau beim Einkauf auf dem Markt Produkte mit hoher Qualität herauszusuchen versteht“, imponierte mir mächtig. Und ich dacht, wenn es der Hausfrau gelingt, weshalb nicht auch mir. Mit der „Soupe aux truffes Elysée, ich gebe es zu, habe ich mich übernommen. Meister Paul hatte sie eigens für einen besonderen Anlass für Monsieur und Madame Giscard d’Estaing kreiert. Anlasss war, dass er vom Staatspräsidenten  mit dem Kreuz der Ehrenlegion als Bannerträger der französischen Kochkunst dekoriert wurde. Mein Versuch, Bocuse in Lyon in der „L‘Auberge du Pont de Collonges“ zu besuchen, scheiterte, weil ich in Illhäusern bei Paul und Jean-Pierre Häberlin in der „Auberge d’Ill“ strandete und mich finanziell völlig verausgabte. Immerhin ist es mir in jungen Jahren gelungen, den damals ebenfalls noch jungen Eckart Witzigmann zu beehren, der drei Michelin-Sterne kochte – und Schüler bei Bocuse war. Die Grundregeln der Kochkunst von Bocuse haben mir die Kochlehre ersetzt, von der ich noch heute träume. Daran muss ich heute denken, wenn ich vom Tod des Mannes erfahre, der zur Ikone wurde und dessen Name bei mir sofort Erinnerungen weckt. Reiner Trabold

 

 

 

 

19. Januar 2018

 

Lieber regieren

 

Ist es denn zu glauben? Jetzt wird in der öffentlichen Diskussion der SPD die Schuld zugeschoben, dass Deutschland schon seit Monaten auf eine neue Regierung wartet. Dabei hat sie sich doch – wenn auch zögernd – pflichtbewusst bereitgefunden, für eine neue GroKo zu sondieren, nachdem Jamaika krachend gescheitert war. An diesem Wochenende dürfen die Genossen zwischen Flensburg und Garmisch beim Parteitag entscheiden, ob sie sich darauf einlassen wollen, über eine Neuauflage der ungeliebten Großen Koalition zu verhandeln. Dass CDU und CSU die sondierten Eckpunkte trutzig verteidigen wollen, lässt vermuten, dass mehr drin ist, wenn über Koalition gesprochen wird. Was hat die Partei des Martin Schulz beim (gemessen an dem Jamaika-Gewürge kurzen) Sondieren falsch gemacht, außer dass sie in den Augen vieler Nimmersatte nicht alles durchsetzen konnte? Wie kann es sein, dass sie in der öffentlichen Diskussion immer mehr als Problemverursacher erscheint? Und zugleich ausblendet wird, dass Kanzlerin Merkel Jamaika vergeigt hat. Übrigens ohne nennenswerten Sympathieverlust. Bleibt zu hoffen, dass es Koalitionsverhandlungen gibt. Und dass am Ende auch Zweifler davon überzeugt werden können, wie falsch es  gewesen wäre, nicht zu regieren. Reiner Trabold

 

 

 

4. Januar 2018

 

Druck-Knöpfe

War zu bezweifeln, dass Trump den Größten hat? Der Twitter-Präsident und Hobby-Cowboy ist mit seinem Imponier-Gehabe um nukleare Potenz genau unberechenbar wie dieser miese kleine Kim mit seinem Raketenspielkram. Zwei Größenwahnsinnige am Drücker – die Menschheit hält den Atem an. Die Größe des Knopfs spielt dabei keine Rolle. von Reiner Trabold

 

Verlockende Aussicht

Staus auf den Arbeitsplatz-Zubringern sind nervtötend, bieten auf chronisch verstopften Autobahnen im autonomen Auto allerding Vorteile. Der moderne Mensch dreht nicht mehr am Rad oder Däumchen, sondern hat endlich Zeit, sich die neuesten News auf dem Tablet servieren zu lassen oder zu lesen, was er sonst nie lesen würde. Er kann vom bequemen Autosessel aus Dinge erledigen, für die früher nie Zeit war. Zum Beispiel die vielen gemeinen Hausarbeiten. Der Roboter kutschiert nicht nur, er kocht, wäscht, reinigt auf Wunsch daheim. Am Arbeitsplatz ist der Stapel Emails durchgearbeitet, sind Telekonferenzen und Geschäftsbesprechungen schon abgehakt, wenn der moderne Mensch ankommt, um sich gleich wieder nach Hause zu stauen. Wo ihm der fleißige, digitale Hausautomat Lästiges abnimmt, ein Sensor die Tür öffnet, die Wohnung klimatisiert, der Rasen gemäht ist, wunschgemäß die Zukunftsmusik online dudelt und das regenerierte Essen bereits auf dem Tisch dampft. Fürwahr verlockende Aussichten. Big Data sei Dank.   Reiner Trabold

 

Unsere Bayern

Die Bayern machen ihr Ding. Weil man sie lassen und ihre weiß-blauen Blüten treiben lässt, wird die Forderung nach dem B-exit noch nicht laut. Das „Mir-san-Mir“ ist ihnen in die Wiege gelegt. Auch wenn die erzkonservative Potenz der Christ-Sozialen (CSU) schwächelt, die Mannsbildern an der Spitze mit einer scharfen Rechts-Bewegung zur absoluten Mehrheit zurückstreben, den eigenen Ton an- und vorgeben. Mit eigenen Autobahnen und Mautstationen, wo man sich einen „Dobrindt“ als Pickerl  an die Scheibe kleben muss. Mit eigenen Obergrenzen für Flüchtlinge. Mit einer eigenen Liga für den FC, mit den gescheitesten Schülern, den höchsten Berge, dem besten Bier, den dicksten Knedln und knusprigsten Hendln, mithin dem urigsten Essen. Wenn’s nur erst noch ihren Kini wieder heddn… Ja, ein eigenes Völkchen, unsere Bayern. Reiner Trabold  

 

 

 

2. Januar 2018

 

Alles gut? 

Die Frage, die eine Zeitung zum Jahreswechsel beschäftigt hat: Ist die Digitalstadt Darmstadt Leucht- oder Elfenbeinturm? Ich dachte bisher weder noch. Was hat die Stadt am Woog mit Leuchttürmen zu tun? Weit und breit keine See zu seh‘n, wo Leuchttürme vor Gefahren warnen können. Elfenbeinturm? Ja, das passt schon eher. Wenn wir uns die digitale Wissenschaftsstadt der Künste als Ort der Abgeschiedenheit von der Welt vorstellt. Welche Rolle spielt der Weiße Turm, ein früherer Eck- und Wehrturm? Keinesfalls ein Schuldturm, wie mancher vielleicht vermutet. Schulden, wir doch nicht. Nein, nein, wo die Stadt doch gerade ihren Haushalt schuldenfrei gezaubert hat. Alles gut, also? Alles gut im Leuchtturm aus Elfenbein.  von Reiner Trabold